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Marcella Hansch - Kämpferin gegen Plastikmüll

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Illustration: iStock/ Sven Sedivy
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Wenn Marcella Hansch zurückschaut, ist sie manchmal selbst erstaunt, was ihr gelungen ist. Mit einer Plastiktüte fing 2012 alles an. Damals tauchte die angehende Architektin durchs Meer bei den Kapverden, als sich plötzlich etwas an ihrem nackten Fuß verhedderte. Die junge Frau zuckte zusammen, weil sie die Tüte für einen Fisch hielt. Hansch bemerkte ihren Irrtum und schaute dem abgestrampelten Plastikbeutel hinterher, wie er weiter durchs Meer waberte. Da ahnte die Sauerländerin noch nicht, dass dieses glitschige Ding im Rückblick die Initialzündung für etwas ganz Großes war. 

Heute ist Marcella Hansch eine bekannte und erfolgreiche Pionierin, die Wege auslotet, wie man Plastikmüll aus Flüssen und Ozeanen wieder herausholt. Schon mit ihrer Masterarbeit ging sie diese Thematik an und konzipierte 2013 eine rund 400 Meter lange schwimmende Plattform: eine Art weißen Riesenrochen. Der Plan war, dass diese Konstruktion Makro- und Mikroplastik aus dem Meerwasser passiv über die „natürliche“ Auftriebskraft des Plastiks rausfiltern und aufnehmen kann, dabei Fische und andere Meerestiere aber unversehrt wegschwimmen lässt. Und die Studentin meinte es ernst: Diese Kreation sollte wirklich entstehen und nicht bloß als schickes Modell im Architekturbüro verstauben.

„Wenn man sagt, man kann sowieso nichts verändern, hat man aufgeben. Ich finde, dass ist das Schlimmste, was man machen kann. Wir sollten uns stattdessen wichtige Ziele eintrichtern, wie ein Marathonläufer seine Laufzeiten. Dann erreichen wir diese Ziele auch.“

Marcella Hansch
Architektin und Unternehmerin

Ein wahrer Dickkopf

Nun kam zum Vorschein, was viele Menschen Marcella Hansch nicht zugetraut hatten: dass sie sich in eine Sache, in eine große Vision geradezu verbeißen kann – im positiven Sinne. Sie selbst spricht davon, dass sie im richtigen Moment „ein wahrer Dickkopf“ sein kann. Aufgeben ist für sie ein Fremdwort. Und den oft gehörten oder durch die Blume vermittelten Zweifel „Ist das nicht eine Nummer zu groß für Sie?“ lässt sie einfach an sich abperlen.

Dabei ist die heute 35-Jährige stark geerdet, realistisch und alles andere als eine Träumerin. Sie hat ihre Vision genau vor Augen und steuert direkt darauf zu. Und es ist fast egal, was sich ihr da an Hürden in den Weg stellen, ob nun aberwitzige Müllverordnungen, technische Unmöglichkeiten, ausufernde Bürokratie oder horrende Investitionskosten – sie räumt jede einzelne davon nach und nach mit ihrem Team und sehr vielen Unterstützerinnen und Unterstützern beiseite. 

Dafür betrieb sie durchaus auch einen gewissen Raubbau an sich selbst: Ihr Projekt und der dafür 2016 mit Gleichgesinnten gegründete Verein „Pacific Garbage Screening“ saugten über Jahre hinweg gehörig an ihrer Kraft und absorbierten nahezu ihre gesamte Freizeit. Marcella Hansch hielt es aus, auch dank eines großen Gemeinschaftsgefühls, und strickte all die Arbeit kurzerhand um ihre damalige Anstellung als Architektin herum: Interviews morgens um sieben Uhr, Rechtsberatungen in der Mittagspause, Vereinsbesprechungen und Vorträge am Abend oder am Wochenende. Dann wurde aus dem wahnwitzigen Ehrenamt endlich eine Vollzeitstelle: mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne im Sommer 2018, die zu den erfolgreichsten Deutschlands zählt. 3.850 Personen spendeten damals insgesamt 231.205 Euro für die Entwicklung des weißen Riesenrochens. 

So entstand das Start-up „Pacific Garbage Screening“ mit Sitz in Aachen, das heute „everwave“ heißt. Über die Jahre hat sich einiges verändert. So liegt die Meeresplattform mittlerweile auf Eis, weil eine weitaus schlichtere Filterplattform für Flüsse den schicken Riesenrochen haushoch übertrumpfte in der Effektivität. Flüsse sind zudem der Ursprung des Übels, denn das Gros des Plastikmülls gelangt über die Flüsse ins Meer und es macht Sinn, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. 

Müllsammelboote befreien Gewässer weltweit von Plastik.
CollectiX-Mission in Bosnien und Herzegowina
CollectiX-Mission in Bosnien und Herzegowina (Foto: everwave)
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Der schlichte Kasten „HiveX“ war deshalb die logische Konsequenz, in den jede Menge Innovationskraft floss und fließt. Diese schwimmende Flussfilterplattform greift die ursprüngliche Filteridee des Rochens auf, ist mittlerweile patentiert und kann jetzt im großen Stil produziert werden – wenn sich entsprechende Investoren zum Skalieren finden. Es ist die aktuelle Hürde, über die sich Marcella Hansch und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter den Kopf zerbrechen.

Die innovativen Ideen sind über die Jahre gereift, viele Kooperationen wurden geschlossen, der Erfahrungsschatz ist gewachsen. Auch ein spezielles Müllsammelboot holt bereits Müllteppiche aus Flüssen heraus, etwa in Italien, Serbien, Bosnien-Herzegowina oder der Slowakei. 

Aufräumen ist das eine, Aufklären das andere. Denn parallel zu diesen Reinigungsaktionen, die Firmen oder Privatpersonen mit Spenden ermöglichen, versucht das Team von everwave immer auch die lokalen Verantwortlichen und die Bürgerinnen und Bürger medial auf die Missstände hinzuweisen, beispielsweise auf ungesicherte Müllkippen direkt an Flussufern, damit das Müllproblem von Menschen und Institutionen vor Ort langfristig gelöst werden kann. Sie sollen auch persönlich profitieren über lokale Arbeitsplätze: bei den Müllsammeleinsätzen auf dem Fluss, beim Abtransport oder Recycling des Mülls. Nachhaltigkeit ist Marcella Hansch extrem wichtig.

„Wir haben eine dauerhaft einsetzbare Flussplattform entwickelt, die fest installiert rund um die Uhr Plastikmüll aus dem Wasser holen kann, ohne dabei den Fischen zu schaden. Diese Technik wollen wir jetzt skalieren. “

Marcella Hansch
Aufklärerin und Aufräumerin

Bildungskoffer über Mikroplastik

Die Pionierin und Meeresretterin von Herzen weiß, dass sie ohne eine große Gemeinschaft von Unterstützerinnen und Unterstützern all das nicht geschafft hätte. Mit der Zeit erfuhr sie aber auch, wie manche Menschen ihr zusetzen können. Bei Vorträgen hörte sie hier und da Kommentare, ob es denn nicht wichtigere Probleme gebe als Plastikmüll im Meer, den ja sowieso auch andere Länder und nicht Deutschland zu verantworten hätten. Unangemessene Kommentare in den sozialen Netzwerken, wie der, ob man sich nicht besser erst einmal um die hungernden Kinder in Afrika kümmern sollte, setzten ihr nächtelang zu. 

Heute kann sie sich von diesem Aufbürden aller Weltprobleme und dem vielen Unwissen, das bei solchen Bemerkungen oft mitschwingt, besser abgrenzen. Destruktive Kritik im Netz beantwortet sie schon lange nicht mehr. 

Auch weil sie dafür absolut keine Zeit hat. Marcella Hansch ist eine Botschafterin für ihr Lebensthema geworden, steht auf vielen internationalen Konferenzbühnen, wirkt in vielen Gremien mit. So hat, so seltsam es klingt, das Corona-Jahr ihr und auch dem Team von everwave auf die Arbeit bezogen gutgetan: Endlich gab es etwas Ruhe. Die Kraft, die vorher fortwährend in eine intensive Öffentlichkeits- und Vortragsarbeit geflossen war, damit immer mehr Menschen das Mikroplastikproblem verstehen und im Plastikverbrauch auch selbst umdenken, war durch die Pandemie plötzlich unverbraucht. 

„Das hat uns geholfen, einige Dinge konzentriert zu beenden, wie beispielsweise die Entwicklung unseres Bildungskoffers über Mikroplastik und die Meere, der jetzt schon in vielen Schulen im Einsatz ist“, erzählt Hansch. Damit alle Bildungseinrichtungen, auch die mit wenig Geld, dieses pädagogische Unterrichtsmaterial bekommen können, startete everwave – wie sollte es anders sein – ein Crowdfunding auf betterplace.org. Es ist eine Aktivität, bei der wieder durchscheint, dass das Start-up zwar wirtschaftlich denken muss, aber eine gemeinnützige GmbH als Hauptgesellschafter hat. 

Marcella Hansch ist glücklich, dass der Bildungskoffer so gut ankommt, weil er Kindern vor allem die Liebe fürs Meer näherbringen kann. Und was man liebt, das schützt man. Davon ist die Pionierin felsenfest überzeugt.

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