Wissenstransfer

Ringen ums Recht

(Foto: istock/sebboy12)
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„Es stand bei uns Spitz auf Knopf“, sagt Jürgen Christof. „Wir sahen unsere Studenten schon wieder in langen Schlangen in den Copyshops stehen.“ Mit einem Kopfschütteln erzählt der Direktor der Bibliothek der Technischen Universität Berlin vom jüngsten Streit um die digitalen Kopien, die Dozenten ihren Studierenden zur Verfügung stellen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) – die die Rechte der wissenschaftlichen Autoren vertritt – hatten dafür einen neuen Rahmenvertrag ausgehandelt. Anders als die bisher unkomplizierte, pauschale Abrechnung sah der neue Vertrag dafür nun eine Einzelabrechnung vor. „Ein Bürokratiemonster“, sagt Christof: Lehrende sollten nun jede einzelne Seite digital abrechnen. Dazu hätten sie sich auch noch vorher schlaumachen müssen, welche wissenschaftlichen Werke wie vergütungspflichtig sind. Die Hochschulen sahen dies als nicht praxistauglich an – und weigerten sich, den ausgehandelten Vertrag zu unterschreiben. „Auf das Risiko hin, dass Dozenten kein urheberrechtlich geschütztes Material mehr hätten anbieten können“, wie Christof betont. Kurz vor Vertragsende zum Jahreswechsel lenkte die Verwertungsgesellschaft ein: Die alte Pauschalregelung gilt nun provisorisch weiter.

Nun sollen diese Art der Abrechnung sowie andere Vereinfachungen für Forschung und Lehre rechtlich festgeschrieben werden: im Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz, das das Bundeskabinett Mitte April beschlossen hat. Doch auch bei diesem Entwurf, mit dem sich derzeit das Parlament beschäftigt, steckt der Teufel im Detail: Maximal 15 Prozent eines Werks dürfen wissenschaftliche Einrichtungen genehmigungsfrei nutzen, vervielfältigen und zugänglich machen. Um eine solch feste Marke war zuvor hart und erbittert gerungen worden zwischen großen Teilen der Scientific Community, die eine Mengengrenze für die wissenschaftliche Textarbeit eigentlich als überholt ablehnt, und einer lauten Minderheit vor allem aus Verlagen und Wissenschaftsautoren, die mit jedem Prozent mehr ihre wirtschaftlichen Einnahmen existenziell bedroht sieht.

Ist das Urheberrecht zu restriktiv?

Der Konflikt, den Politiker und Lobbyisten nun hinter verschlossenen Türen der Parlamentsausschüsse weiterführen, wirft ein grelles Schlaglicht auf ein kleinteilig-restriktives Urheberrecht, das zunehmend mit einer Wirklichkeit von Forschern, Lehrenden und Studierenden kollidiert, in der die digitale Vervielfältigung von Inhalten nur einen einfachen, schnellen Klick entfernt ist. Seit Jahren liefern sich die Wissenschaftsverlage dazu juristische Scharmützel mit den Hochschulen. „Ein Problem ist“, sagt der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen, „dass das noch geltende Urheberrecht unbestimmte Rechtsbegriffe enthält.“ Über Jahrzehnte sorgte etwa der „kleine Teil“ für Verunsicherung und Verdruss in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Diesen Part eines Werks dürfen etwa Dozenten ihren Studierenden frei zugänglich machen. Wie viel das genau ist, das klärte erst der Bundesgerichtshof 2013 nach der Klage eines Verlags gegen die Fernuniversität in Hagen: 12 Prozent.  

Mit der aktuellen Urheberrechtsnovelle bekäme nun nicht nur ein höherer Anteil von 15 Prozent Gesetzeskraft: „Auch darüber, wie Wissenschaftler und Studierende Texte nutzen dürfen, gäbe es größere Rechtssicherheit“, betont Kuhlen. Der Sprecher des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft sieht Verbesserungen in der pauschalen Vergütung sowie dem Vorrang sogenannter Schranken – also einer gesetzlichen Erlaubnis – vor vertraglichen Regelungen mit den Verlagen. Nicht weit genug geht Rainer Kuhlen dagegen die erstmals rechtlich fixierte Erlaubnis des sogenannten Text- und Data-Mining; dabei wird eine Vielzahl von Schriften, Daten, Bildern und sonstigen Materialien mit digitalen Methoden ausgewertet, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Auch enthält der Entwurf eine Formulierung, die die Nutzung von Texten zur Vor- oder Nachbereitung der Lehre explizit rechtlich festschreibt. Neue Regeln gelten auch für den Kopienversand und für digitale Leseplätze, wobei Bibliotheken die Bereitstellung von Texten in geringem Umfang erlaubt wird.

Kopieren, vor Ort lesen oder Digitalisieren – das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz regelt, wie Universitätsbibliotheken wissenschaftliche Werke zugänglich machen können.
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(Foto: Selina Pfrüner)
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„Wir als Bibliothekare halten das für gelungen“, lobt der Berliner Universitätsbibliothekschef Christof die Gesetzesnovelle. Auseinandersetzungen zwischen Universitäten und Autoren, Verlagen sowie der VG Wort könnten so entschärft werden. Auch die Hochschulrektorenkonferenz begrüßte die Vorlage als „richtige Antwort auf die zunehmende Digitalisierung von Forschung, Lehre und den Methoden des lebenslangen Lernens.“

Die Zustimmung von Hochschulen und Bibliotheken bedeutet indes keineswegs, dass das Gesetz wie geplant Bestand haben wird. Denn gegen die Regelung gibt es etliche Einwände – bis hin zum organisierten Widerstand. Da sind zum einen die Verfechter einer liberaleren Lösung, die zwar mit dem aktuellen Gesetzesentwurf leben können – aber weitere Änderungen kommen sehen. „Das Gesetz lässt Zukunftsorientierung vermissen“, sagt etwa Urheberrechtsbündnis-Sprecher Kuhlen. Außerdem habe das Kabinett den ursprünglichen Entwurf des Bundesjustizministeriums wieder verschlechtert: zu Lasten von Bildung und Wissenschaft – und zu Gunsten kommerzieller Verwertungsmodelle. „Der Reformweg ist noch nicht zu Ende“, warnt Kuhlen. Mit der Urhebrrechtsnovelle in ihrer derzeitigen Form habe die Koalition ihr Versprechen einer „Allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ noch nicht eingelöst.

„Das Gesetz lässt Zukunftsorientierung vermissen.“

Rainer Kuhlen
Informationswissenschaftler und Sprecher des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft

Wissenschaftliche Werke frei zugänglich machen

Das Urheberrechtsbündnis kämpft seit längerem für die Einrichtung einer solchen „allgemeinen Wissenschaftsschranke“. Damit dürfte urheberrechtlich geschützte Literatur für Forschung und Lehre grundsätzlich und in jedem Umfang frei zugänglich gemacht werden – unter der Voraussetzung, dass kein kommerzieller Zweck dahintersteckt. Einer entsprechenden Erklärung haben sich rund 8.000 Personen sowie bedeutende Wissenschaftsorganisationen wie die Max-Planck- und die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz- oder auch die Leibniz-Gemeinschaft sowie mehrere Hundert weitere Fachgesellschaften, Verbände und Institutionen angeschlossen. Auch die Studierendenvertretung fzs (freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften) plädiert für eine allgemeine Wissenschaftsschranke.

Auf grundsätzliche Ablehnung stößt die geplante Urheberrechtsnovelle dagegen bei etlichen Verlagen. Die Initiatoren der Reformpläne nähmen in Kauf, „die gesamte bestehende Publikations-Infrastruktur vom Autor über den Verlag bis zum Fachbuchhandel zu zerstören“, heißt es in der von Verlegern gestarteten Initiative Publikationsfreiheit.de mit mittlerweile mehr als 6.000 Unterzeichnern. Dazu zählen auch mehr als 1.000 Professoren, darunter Prominenz wie der Soziologe Jürgen Habermas oder der Bundesrichter Thomas Fischer.

Ob eine wirtschaftliche Produktion und Verbreitung wissenschaftlicher Titel, ob Innovationen überhaupt noch möglich und sinnvoll seien, entscheide sich daran, welches Ausmaß der Nutzung und Vervielfältigung der Gesetzesentwurf vorsehe, warnte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis. Die derzeit vorgesehene Vergütung sei jedenfalls „völlig unzureichend“.

Raubkopierertum als lässliche Sünde

Keine Notwendigkeit, das Urheberrecht für die Wissenschaft zu lockern, sieht der Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum. Er sagt: „Das bisherige Regelwerk hat immer funktioniert.“ Das Bestreben nach einer Änderung des Status quo gehe auch auf eine neue Studierendengeneration zurück, „die vorwiegend im Haben-Modus agiert“ und im Raubkopierertum nicht mehr als eine lässliche Sünde sehe. Hinter den hohen juristischen und finanziellen Hürden für Studierende und Wissenschaftler sieht der Bibliothekar ein hausgemachtes Problem: Die wissenschaftlichen Anerkennungsmechanismen hätten – befeuert durch die Politik – zu einer explosionsartigen Zunahme von Veröffentlichungen und Fachzeitschriften geführt – für die die Hochschulen und Bibliotheken nun die Rechnung präsentiert bekämen.

Die Neufassung des Urheberrechts bewegt sich für Jochum im Rahmen einer verhängnisvollen Dynamik, „in der letztlich Hand an die Grundrechte wissenschaftlicher Autoren gelegt wird.“ Die Schutzbedürfnisse für die geistige Arbeit von Autoren sowie Investitionen von Verlagen würden – um den Preis eines offenen Zugangs zu Publikationen – immer weiter aufgegeben.

„Das bisherige Regelwerk hat immer funktioniert.“

Uwe Jochum
Bibliothekar

Kritiker wie Gegner des neuen Gesetzes haben durchaus Chancen, noch an einigen Stellschrauben zu drehen – oder es zu blockieren: Die Novelle muss noch vor der Wahl im Herbst durch den Bundestag wie Bundesrat. Die Bundestagsabgeordneten sollten die vom Kabinett vorgenommenen Änderungen zu Gunsten der Verlage wieder zurücknehmen, verlangt Urheberrechtsbündnis-Sprecher Rainer Kuhlen. Der Chef des Börsenvereins Alexander Skipis hat dagegen bereits angemerkt, dass für die geplante Vergütung von Verlagen und Autoren noch eine Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene fehle. Diese sei frühestens 2018 zu erwarten.

Die Universitäten hoffen, dass zumindest die Einzelabrechnung für digitale Semesterapparate vom Tisch ist und bleibt. Universitätsbibliothekschef Jürgen Christof hat dafür nur einen Satz übrig, der schon fast beschwörend klingt: „Wir wünschen uns sehr eine einfache Lösung.“

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