Wissenstransfer

Forschungs- oder Affenfreiheit?

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Illustration: Irene Sackmann
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Wenn ein Forscher immer wieder den Kopf von Affen aufschneidet, mehrere Elektroden in ihr Gehirn steckt, sie wieder zunäht und danach beobachtet – darf er das noch mit der Forschungsfreiheit begründen? Und dürfen Tierschützer einen solchen Wissenschaftler derart diffamieren, dass er vorübergehend Polizeischutz braucht? Ein Fall in Norddeutschland, der sich in der jüngeren Vergangenheit immer mehr zugespitzt hat, zeigt je nach Lesart die Grenzen der Forschungsfreiheit auf oder ihre Bedeutsamkeit.

Als der Hirnforscher Andreas Kreiter 1997 vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung an die Universität Bremen wechselt, hat er in Forscherkreisen bereits einen guten Ruf, der vor allem auf den Erkenntnissen fußt, die er aus Experimenten mit Makaken gewonnen hatte, einer Primatenart. Diese Tierversuche bringen ihm an anderer Stelle aber auch einen ausgesprochen schlechten Ruf ein. Die Biologin Silke Strittmatter von der Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche“ etwa hält die Versuche nicht nur für grausam, sondern bezweifelt auch, dass sie von großem Nutzen für die Forschung sind: „Experimente mit Tieren bringen nachweislich keine klinisch relevanten Erkenntnisse.“ Die Irrtümer, die durch falsche Rückschlüsse entstehen können, seien mitunter sogar lebensgefährlich. „Lipobay stellte sich in Tierversuchen als sicher und wirksam heraus, bei Menschen gab es zahlreiche Todesfälle. Umgekehrt wäre uns Penicillin, das ohne Tierversuche entdeckt wurde, vorenthalten worden, wenn man sich auf Tierversuche verlassen hätte – gab es hier doch teilweise tödliche Nebenwirkungen“, so Strittmatter.

Grundlegende Forschung

Kreiter sieht das ganz anders. Er betreibe Grundlagenforschung, sagt er, das heißt, eine praktische Anwendung, etwa die Weiterentwicklung einer bestimmten Behandlungsmethode von Krankheiten, sei nicht das unmittelbare Ziel. Meist aber lege sie tatsächlich die unabdingbare Basis für weitere Forschung, die schließlich in 10, 20, 50 Jahren eine Menge Leben rette. „Die Aufklärung der Herzfunktion war auch erst einmal Grundlagenforschung. Heute werden Millionen Menschen weltweit auf Basis dieses Wissens erfolgreich behandelt“, sagt Kreiter.

Doch der Protest gegen den bevorstehenden Umzug Kreiters nach Bremen ebbt nicht ab, im Gegenteil, die Empörung breitet sich durch die Medien in der Bevölkerung Bremens aus. Über Nacht werden die für die Experimente vorgesehenen Laborräume in Bremen verwüstet, Kreiter und seine Familie bekommen wiederholt anonyme Drohungen am Telefon und werden zeitweise sogar unter Polizeischutz gestellt. 

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Illustration: Irene Sackmann
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Forschung um jeden Preis?

Stammzellenforschung, Fracking, Tierversuche – wo liegen die Grenzen der Forschungsfreiheit? Lesen Sie hierzu ein Interview mit der Leiterin des Umweltbundesamtes Maria Krautzberger zum Thema Fracking: „Ein lernendes Gesetz

Kreiter tritt seine Professur in Bremen trotzdem an – und führt seine Experimente mit den Makaken fort. Doch die Frage steht längst im Raum: Überschreitet Kreiter die Grenzen der Forschungsfreiheit?

Was in Kreiters Labor geschieht: Makaken werden unter Vollnarkose Elektroden ins Gehirn implantiert. Anschließend nehmen die Affen über Monate und Jahre an Dressurübungen teil, bis sie für mikroskopische Untersuchungen am Gehirn eingeschläfert werden. Die Forscher messen mit den Elektroden, wie die Signale einzelner Nervenzellen zusammenwirken, um bestimmte Formen von Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Belastung für die Tiere sei nachweislich gering, sagt Kreiter, von den Elektroden merken sie, ebenso wie Parkinsonpatienten mit implantierten Elektroden, nichts. Lediglich der Wundschmerz nach dem Eingriff bereite kurzzeitig leichte Beschwerden. Die geringe Belastung für die Tiere bestätigt auch ein Expertengutachten, das den Experimenten mit den Makaken eine niedrige Belastungsstufe ausstellt.

Leid der Tiere zu groß?

Von „geringer Belastung“ zu sprechen, hält Silke Strittmatter von der Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche“ jedoch für zynisch: „Bei den verharmlosend als ‚Dressurübungen‘ bezeichneten Versuchen muss der Kopf der Affen fixiert werden, das lassen die Affen nicht freiwillig mit sich machen. Man macht sie sich normalerweise mit Flüssigkeitsentzug gefügig, bis sie so durstig sind, dass sie alles mit sich machen lassen für ein paar Tropfen Wasser.“ Strittmatter verweist auf ein anderes Expertengutachten, in dem das Leid der Tiere als zu groß eingestuft und der medizinische Nutzen der Versuche als nicht gegeben angesehen wird.

Die Auseinandersetzung verschärft sich. Im Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl in Bremen im Jahr 2007 entdecken auch einige Politiker das Thema für sich. Sie wollen Kreiter zwingen, die Experimente einzustellen. Doch der bekommt vor Gericht recht – und macht weiter. „Die willkürliche Verweigerung des Grundrechts der Freiheit von Forschung und Lehre konnte abgewehrt werden“, sagt Kreiter, der überzeugt ist wie eh und je von seinen Versuchen und dem Recht, sie durchführen zu dürfen. Doch die Tierschützer geben nicht auf.

„Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“ Mit diesem Zitat das Arztes Herbert Stiller beginnt eine ganzseitige Anzeige, die der Verein „Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland“ am 16. April 2014 in zahlreichen regionalen und überregionalen Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der ZEIT schaltet. Weiter im Text heißt es: „Aufgerufen sind alle Bürger, professionellen Tierquälern, wie z.B. Tierexperimentatoren, mit Verachtung zu begegnen und ihr Handeln öffentlich anzuprangern.“ Nach der Kampagne bekommt Kreiter erneut zahlreiche Drohbriefe und anonyme Anrufe.

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Illustration: Irene Sackmann
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Forschungsfreiheit in Gefahr?

Die Freiheit der Forschung ist in Deutschland ein hohes Gut: Sie ist sogar im Grundgesetz geregelt. Aber welche Argumente sprechen eigentlich dafür, der Freiheit der Forschung einen derart hohen Stellenwert einzuräumen? Und wo liegen die Grenzen?

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Aber nichts ändert sich. Die Tierschutzverbände kritisieren Kreiter bis heute, doch der macht mit seinen Experimenten nach wie vor weiter und beruft sich auf die Entscheidung der Richter. Laut deren Urteil hat der Neurobiologe die Grenzen der Forschungsfreiheit nicht überschritten. Doch es bleibt die Frage, ob diese Grenzen richtig gesetzt sind.

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