Wissenstransfer

Aschenputtel „dritte Mission“

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Uwe Schneidewind (Illustration: Irene Sackmann)
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Die Würfel sind gefallen: 48 Hochschulen (36 Fachhochschulen, neun Universitäten, zwei pädagogische Hochschulen, eine Musikhochschule) in 19 Einzel- und zehn Verbundvorhaben wurden im Wettbewerb „Innovative Hochschule“ ausgewählt. Sie erhalten in den nächsten fünf Jahren zwischen zehn und 15 Millionen Euro, um den Transfer ihrer wissenschaftlichen Arbeit in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka kommentiert: „Ich freue mich, dass wir jetzt viele qualitativ hochwertige Vorhaben unterstützen können, um einen echten Innovationsschub beim Auf- und Ausbau der Zusammenarbeit der Hochschulen mit Wirtschaft und Gesellschaft auszulösen.“

Der Wettbewerb diente der Stärkung der sogenannten dritten Mission („Third Mission“), das heißt dem wirtschaftlichen und gesellschaftsorientierten Wissenstransfer von Hochschulen – neben Forschung und Lehre als erster und zweiter Mission. Er ergänzte damit die bestehende Exzellenzinitiative und die umfassend ausgestatteten Hochschulpaktprogramme zur Stärkung der Lehre.

Symbolische Abwertung

Dass es sich nur um die dritte Mission handelt (vgl. dazu auch), zeigt schon die Handhabung des Wettbewerbs: Die Gewinner wurden alleine aufgrund von 25-seitigen Papierskizzen ausgewählt. Es fand keine Anhörung favorisierter Konzepte durch eine breite Jury statt.

Unabhängig davon, ob es öffentlich verantwortlich ist, über 300 Millionen Euro in einer solchen Weise auszuschütten, wiegt die damit verbundene symbolische Abwertung schwer. Während die Siegerkonzepte der Exzellenzinitiative sich in einem dreistufigen Wettbewerb mit abschließenden Anhörungen vor einer international zusammengesetzten Jury bewähren müssen, scheint die dritte Mission eines solchen Aufwandes nicht wert. Dass es auch anders geht, hat der Stifterverband schon vor über zehn Jahren bewiesen. Dort wurde in einem Vorläuferwettbewerb „Profil und Kooperation“ zur Förderung innovativer strategischer Konzepte von mittelgroßen Hochschulen (die gleiche Zielgruppe wie bei dem jetzigen Wettbewerb) schon vor zehn Jahren bei lediglich 100.000 Euro Fördergeld ein angemessener Auswahlprozess mit persönlicher Präsentation favorisierter Konzepte in der zweiten Runde organisiert.

Doch gerade um die symbolische Aufwertung der dritten Mission sollte es in diesem Wettbewerb eigentlich gehen. Er sollte das klare Signal setzen, dass auch eine starke Transferorientierung Möglichkeiten bietet, sich als Hochschule zu profilieren. In der Art, wie der Wettbewerb gehandhabt wurde, droht er dieses Ziel zu verfehlen. Er sendet das fatale Signal, einfach nur zusätzliches Geld an Fachhochschulen und solche Hochschulen auszuschütten, die nicht an der Exzellenzinitiative partizipieren.

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Uwe Schneidewind (Illustration: Irene Sackmann)
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Transformative Wissenschaft

Uwe Schneidewind treibt die Vision einer sozial- und ökologisch gerechten Welt im 21. Jahrhundert um. Und er ist der festen Überzeugung, dass die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben, einen zentralen Einfluss auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse hat. Deswegen streitet er für eine „transformative Wissenschaft“ und erregt damit viele Gemüter im Wissenschaftssystem. Folgerichtig heißt diese Kolumne Transformative Wissenschaft.
Als Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie leitete er von 2010 bis 2020 einen der führenden Thinktanks für Nachhaltigkeitsforschung in Deutschland. Das Wissenschaftssystem und die Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft kennt er aus unterschiedlichen Perspektiven: als ehemaliger Präsident der Universität Oldenburg oder als Berater der Bundesregierung im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU). Seit dem 1. November 2020 ist Uwe Schneidewind Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal und damit in neuer Rolle in einem auch durch Wissenschaft entscheidend geprägten urbanen Transformationsraum.​

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Eine erfreuliche Ausnahme bilden lediglich drei geförderte Universitäten, die bisher auch (mit einer eigenen Graduiertenschule oder einem eigenen Exzellenzcluster) in der Exzellenzinitiative erfolgreich waren: die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und die Universität Ulm. Sie können zeigen, wie nach klassischen Maßstäben exzellente Grundlagenforschung mit überzeugender Transferorientierung in einer Hochschule einhergeht.

Was ist zu tun?

Angesichts der Versäumnisse bei der Auswahl muss jetzt, wo die Gewinner feststehen, der weitere Prozess so gestaltet werden, dass die dritte Mission die Aufwertung erfährt, die eigentlich mit dem Wettbewerb angedacht war. Hier sind sowohl die Wissenschaftspolitik als auch die Gewinnerhochschulen gefordert.

Es gilt, jetzt einen Begleitprozess aufzusetzen, der mehreres gewährleistet:

  • Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Konzepte muss genutzt werden, um die Bedeutung und die Kontur der dritten Mission klar herauszuarbeiten. Es muss deutlich werden, dass „dritte Mission“ nicht einfach alles abdeckt, was irgendwie mit Transfer zu tun hat (vgl. dazu auch Jan-Martin Wiarda). Gleichzeitig ist es erforderlich, zu zeigen, wie guter Transfer und Forschung und Lehre sich gegenseitig befruchten.
  • Die Best Practices einer dritten Mission der Wettbewerbshochschulen müssen sichtbar werden, zum Beispiel durch einen regelmäßig verliehenen Preis für beste Transferbeispiele.
  • Es gilt, Kriterien zur Wirkungsmessung für den Transfer zu entwickeln. Das Wissenschaftssystem mit seinen Reputations- und Karrieremechanismen ist heute fast ausschließlich an quantitativen Forschungsmaßstäben orientiert. Um der einseitigen Publikationsfixierung etwas an die Seite zu stellen, muss auch herausragender Transfer messbar werden. Scientific impact muss durch ebenso gut darstellbaren societal impact ergänzt werden.
  • Die Transferaktivitäten müssen von geeigneten medialen Maßnahmen begleitet werden. Das von Manfred Ronzheimer entwickelte Konzept eines „Transformationsjournalismus“ zeigt hier einen interessanten Weg auf. Der Wettbewerb und einzelne Standorte bräuchten entsprechende virtuelle und reale Transfer- und Transformationszeitungen.
  • In der zweiten Runde des Wettbewerbs muss es unbedingt eine zweite Auswahlstufe mit Anhörungen favorisierter Konzepte geben. Nur so wird auch die nötige Wertschätzung und Mobilisierung für die dritte Mission erreicht.

Wenn die dritte Mission nicht ein ewiges Aschenputtel bleiben, sondern ihr Prinzessinnenpotenzial entfalten soll (vgl. auch), dann ist es erforderlich, jetzt konsequent zu handeln.

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