Innovationssystem

Wir brauchen neue Formate der Kooperationsforschung

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Illustration: Daniela Meloni/K3
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„Wird Facebook Einfluss auf die TU München nehmen?“, fragt sich die Öffentlichkeit, seit im Januar bekannt gegeben wurde, dass der amerikanische Datenkonzern mit einer 6,5-Millionen-Euro-Spende ein Institut für Ethik in der künstlichen Intelligenz (KI) an der TU München unterstützt. Die besorgte Frage nach dem Unternehmenseinfluss bei der Finanzierung öffentlicher Forschung ist ebenso berechtigt wie regelmäßig wiederholt, sie unterschätzt jedoch die Standards wissenschaftlicher Redlichkeit und Qualitätssicherungsprozesse, die im Wissenschaftssystem insgesamt und an deutschen Hochschulen im Besonderen gut definiert sind und funktionieren. Kaum jemand aber stellt in der Debatte die für unsere Gesellschaft viel entscheidendere Umkehrfrage: Wie viel Einfluss hat die öffentliche KI-Forschung noch auf die Unternehmen?

Dass große Konzerne mit ihren Dienstleistungen, Produkten, Geschäftsmodellen, technischen Standards und Algorithmen die Art und Weise, wie sich Gesellschaft konstituiert, beständig und grundlegend verändern, ist evident. Dass damit auch Wissenschaft neue Verortungen und Entgrenzungen erlebt, wird nur allmählich deutlich.

Zwar hat Mariana Mazzucato in ihrem Buch The Entrepreneurial State eindrucksvoll nachgewiesen, dass es in der Vergangenheit ursprünglich öffentliche Forschungsprojekte und Infrastrukturen waren, die den rasanten Aufstieg von Apple, Google, Intel, Amazon, Huawei oder Samsung ermöglicht haben; aber ebenso klar ist auch die Entwicklung dieser Unternehmen zu hoch attraktiven Forschungsinstitutionen, die mit viel Geld und Manpower Infrastrukturumgebungen für die besten Forscher der Welt schaffen, mit denen selbst die finanziell sehr flexiblen amerikanischen Hochschulen kaum noch mithalten können. So investiert jedes einzelne der genannten Unternehmen zwischen 15 und 20 Milliarden Dollar im Jahr für Forschung und Entwicklung (Facebook 7,8 Milliarden Dollar) – Samsung wiederum betreibt in Südkorea eine eigene Universität, die zu den besten des Landes gehört. Jedes einzelne Unternehmen gibt also für Forschung so viel Geld aus wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im gesamten Bundesgebiet.

„Kaum jemand stellt die entscheidende Frage: Wie viel Einfluss hat die öffentliche KI-Forschung noch auf die Unternehmen? “

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Volker Meyer-Guckel (Foto: David Ausserhofer)
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Volker Meyer-Guckel
Stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes
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Illustration: Daniela Meloni/K3
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In ihrer „Strategie Künstliche Intelligenz“ hat sich die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres das Ziel gesetzt, in der KI-Forschung „Deutschland und Europa auf ein weltweit führendes Niveau zu bringen und dort zu halten“. Unter anderem durch 100 neue Professuren, zwölf neue Forschungs- und Anwendungszentren und ein „Observatorium für künstliche Intelligenz“ sollen die „richtigen Rahmenbedingungen für Wertschöpfung aus der Anwendung von KI in Deutschland“ gesetzt werden.

Schon bei der Beschreibung der Ausgangssituation in dem Strategiepapier stellt sich allerdings die Frage, ob die strategischen Schlüsse auf einer zutreffenden Analyse fußen. In dem Papier heißt es, dass „KI zunehmend den Weg aus der Forschung in die Anwendung in der Wirtschaft findet“. Dahinter steckt immer noch die Annahme, dass die (Grundlagen-)Forschung in den öffentlichen Einrichtungen erfolgt und die Anwendung dann in den Unternehmen passiert. Längst aber sind die deutschen Universitäten mit ihren tariflichen Beamtenstrukturen für viele der ersten Forschungsgarde unattraktiv, auch wenn es mantrahaft heißt, man finde immer noch sehr gute Forscher, weil man ein Umfeld der Freiheit und Autonomie schaffe, das für viele attraktiv sei. Man täusche sich nicht über die Grundlagenorientierung und Freiheitsgrade der Unternehmensforschung: Aus den mittlerweile zu Nokia gehörenden privaten Bell Labs sind in den vergangenen Jahren acht Nobelpreisträger hervorgegangen.

In den IT-Disziplinen wird besonders deutlich, was auch für andere wissenschaftliche Disziplinen absehbar ist: Die öffentliche Forschung ist auf die Forschungspower der Unternehmen angewiesen. Spricht man mit Informatikprofessoren in Stanford oder Boston, so hört man sie sagen: Nur durch ein beständiges Arbeiten in den Forschungsabteilungen der Unternehmen selbst lässt sich der Anschluss an die High-End-Forschung noch aufrechterhalten – frei nach dem Motto: „If you can‘t beat them, join them.“ Das wissen auch die Forscher in einem der wenigen deutschen KI-Forschungszentren mit Weltniveaupotenzial, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI): In dem privaten Institut arbeiten die besten Forscher in Public-Private-Partnership-Projekten, über 20 Industriegesellschafter begleiten das Zentrum und entscheiden mit den an Hochschulen angedockten Professoren über Forschungsprojekte.

Gerade die KI-Forschung ist ein Paradebeispiel dafür, wie die klassischen akademischen Institutionen ehemalige Alleinstellungsmerkmale in der Generierung und Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen verloren haben und weiter verlieren und sich zunehmend eingebettet sehen in ein über Konzerne, Start-ups und Gesellschaft (Stichwort: Open-Source-Bewegung) verteiltes Wissensproduktionssystem. Mit anderen Worten: Akademisches Wissen entsteht und findet sich häufiger an physischen und virtuellen Orten außerhalb klassischer akademischer Institutionen. Dort verschränken sich Fragen der Grundlagen- und Anwendungsforschung, die trennscharfe Unterscheidungen zwischen beiden Forschungsmodi unmöglich machen. 

Wer glaubt, dass diese Phänomene auf die schon immer etwas anders tickenden „IT-Disziplinen“ und -Branchen beschränkt seien, dem sei empfohlen, den Blick auf Entwicklungen in den Gesundheits- und Lebenswissenschaften zu richten, in denen wir in Anfängen Ähnliches beobachten können. Zum einen werden medizinische und gesellschaftsverändernde Forschungsergebnisse durch relativ einfach handhabbare und reproduzierbare Methoden wie CRISPR/Cas in private Labore wandern, zum anderen werden Big-Data-Repositorien, die durch kommerzielle Apps und Wearables generiert werden, in Zukunft ganz erheblich medizinischen Fortschritt prägen. Auch hier ist KI die Schlüsseltechnologie zu Skalierung medizinischer Erkenntnis und die Weiterentwicklung von Behandlungsmethoden.

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Illustration: Stifterverband/ Lisa Syniawa
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Künstliche Intelligenz

Der Forschungsgipfel im März 2019 stand ganz im Zeichen der Künstlichen Intelligenz (KI). Das brandaktuelle Thema wirft zahlreiche Fragen auf: Was kann KI heute bereits leisten und was nicht? An welchen ethischen Prinzipien sollte sich die Entwicklung von KI orientieren? Ist Deutschland bei der Entwicklung und beim Einsatz von KI bestmöglich aufgestellt? Wie kann die Teilhabe Deutschlands und Europas an der Weiterentwicklung von und die Wertschöpfung durch KI gesichert werden?

Lesen Sie mehr zum Thema Künstliche Intelligenz in unserer MERTON-Artikelserie zum Forschungsgipfel. 

Wenn wir nicht wollen, dass die Speerspitze wissenschaftlicher Erkenntnis zunehmend „privatisiert“ wird, müssen sich Wissenschaft und Unternehmensforschung gleichermaßen öffnen. Dafür kann und sollte Deutschland seinen eigenen Weg finden und definieren.

Neue Partnerschaften

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Illustration: Daniela Meloni/K3
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Wie könnte das aussehen? Erstens bedarf es einer Grundverständigung über Prinzipien, zweitens einer Entwicklung neuer Methoden und Partnerschaften, die Öffnungsprozessen von Industrie und staatlicher Forschung zugleich Regeln geben und wertschöpfend wirken. Die Rolle Deutschlands in Wissenschaft und Innovation könnte genau aus seinen Stärken in der Vergangenheit erwachsen: Wir verbinden Technologien mit Systemen, Normen und Regeln. Wir wollen weder die staatliche Steuerung von Forschungs-, Innovations- und gesellschaftlichen Transformationsprozessen wie in China und wir wollen auch nicht das weitgehend deregulierte System wie in den USA. Anders ausgedrückt: Wir wollen weder ein KI-getriebenes reguliertes Social Scoring noch ein ungeregeltes Private Scoring. Wir können unsere wissenschaftliche und industrielle Vielfalt nutzen, um möglichst viele Stakeholder an der systemischen Entwicklung und Einbettung von Technologien zu beteiligen und regulatorische Einbettungen zu finden, die zugleich Freiheit, Schutz, soziale Standards und Fortschritt zusammenbringen und dieses System aus Technologie, sozialer Innovation und Regeln weltweit ausrollen.

„Wenn wir nicht wollen, dass die Speerspitze wissenschaftlicher Erkenntnis zunehmend 'privatisiert' wird, müssen sich Wissenschaft und Unternehmensforschung gleichermaßen öffnen. “

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Volker Meyer-Guckel (Foto: David Ausserhofer)
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Volker Meyer-Guckel

Viele Entwicklungen gehen in diese Richtung: Die unterschiedlichen Öffnungsprozesse in der Wissenschaft unter den Stichworten Open Access und Open Data, aber auch neue Ansätze wie Citizen Science führen zu einem Wandel hin zu komplexen und offeneren Innovationsökosystemen, wo unterschiedliche Stakeholder ihre Rolle, Ziele und Aufgaben neu ausloten. Auf der anderen Seite gründen viele große Unternehmen neue, eigene Innovationsökosysteme, in denen Industrie, Start-ups, wissenschaftliche Einrichtungen und zivilgesellschaftliche Akteure in unmittelbarer Nähe an Zukunftsthemen zusammenarbeiten.

Noch ist dieses Terrain für viele Akteure ein großer Experimentierraum. Wichtig ist, dass sich die derzeit noch sehr getrennt verlaufenden Diskurse und Praktiken von Open Science auf der einen und Open Innovation auf der anderen Seite in Zukunft zugleich wertschöpfend und gemeinwohlorientiert verschränken. Eine nationale Austauschplattform, die die Erfahrungen der Stakeholder in solchen laborähnlichen Ökosystemen analysiert, vernetzt und politisch aufbereitet, könnte hier einen guten Beitrag leisten. Diese neuen Konstellationen benötigen aber langfristig auch ein förderliches wissenschaftspolitisches Rahmenwerk. Wir brauchen angepasste Stellenprofile und Fördermechanismen. Mindestens müssten in Anträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mehr Anträge zum Zuge kommen, in denen auch Unternehmen und Start-ups als Forschungsbetreibende, als Forschungsorte und Forschungsgegenstand mit eingebunden sind. Besser noch wäre eine neue Institution im Sinne einer „Transfergemeinschaft“ oder Innovationsstiftung etwa nach dem Vorbild Großbritanniens (Nesta), Schwedens (Vinnova) oder der Schweiz (Innosuisse), die sich der Förderung solcher (transdisziplinärer) Kooperationsforschung verschreibt. Wir brauchen neue Modelle bei der Finanzierung von Forschungsinfrastruktur: mehr gemeinsame Forschungslabore (Reallabore) auf dem Hochschulcampus, in denen in – gewissermaßen im „neutralen öffentlichen Raum“ – Public Private Partnerships transdisziplinär (auch und gerade unter Einbindung der Geistes- und Sozialwissenschaften!) technologische Forschung mit ethischer, regulatorischer und soziokultureller Forschung verschränkt wird.

Am Ende bedarf es auch neuer Professurenprofile wie Gründungs- und Kooperationsprofessuren, die den Auftrag haben, Forschungsfragen in Zusammenarbeit mit Start-ups und Unternehmen in Kooperation mit Universitäten voranzutreiben und ihre Expertise auch in Wertschöpfungsprozesse einzubringen. Dazu muss auch an ganz dicken regulatorischen Brettern wie Lehrdeputatsverordnungen und Besserstellungsverboten gebohrt werden.

In solchen neuen kooperativen und transdisziplinären Forschungskonstellationen und damit verknüpften Lernräumen könnte die öffentliche Forschung nicht nur an gesellschaftlichem Einfluss gewinnen, sondern sich auch das entfalten, was von den Hochschulen kategorisch unterschätzt und viel zu wenig genutzt wird: die Produktivkraft der Studierenden.

(Dieser Beitrag erschien zuerst im DSW-Journal 1/2019)

Der Autor

Volker Meyer-Guckel ist seit 2005 stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes. Er ist unter anderem Mitglied im Global Learning Council, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Bildung und Gesellschaft, Mitglied im Vorstand der Hermann und Lilly Schilling-Stiftung, Vorsitzender des Stiftungsrates der Leuphana Universität Lüneburg und Mitglied im Stiftungsrat der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

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