Innovationssystem

Ökonomie im Schlaraffenland

Günter Faltin
Günter Faltin (Foto: Stifterverband)
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Nicht das Kapital entscheidet heutzutage immer, ob eine Geschäftsidee in die Tat umgesetzt wird, meint Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin. Auf etwas ganz anderes komme es an. Es sei auch sympathischer, wenn tausend Leute eine Milliarde Umsatz machen als nur einer alleine. In der Vielfalt kleiner Gründungen liege zudem ein Schatz für die Integration von Migranten.

Günter Faltin
Günter Faltin (Foto: Stifterverband)
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„Jetzt ist die Frage: Was passiert nach der Zeit des Mangels?“
Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship

Transkript des Videos

Früher ging es um Kohle und Stahl. Heute sind wir in einer Wissensgesellschaft.

Das geht um feinere - wie soll ich das sagen? - stofflich feinere, es geht um diffizilere Prozesse als früher. Und da braucht man mehr Kopf, und deswegen haben wir ein größeres Bildungssystem. Und heute kommen die neuen Ideen auch immer noch aus technischen Entwicklungen, aber in sehr viel größerem Umfang als früher auch aus neuen Kombinationen aus vorhandenem Wissen. Und das muss man sehen und diese Neukombination von Wissen auch aufgreifen. Dazu muss man sich nicht im Wissenschaftsraum bewegen. Es gibt viele Probleme, Umgang mit alten Menschen, jetzt Umgang mit Flüchtlingen, mehr Toleranz, wo wir genügend zu tun haben, zu sagen: Das sind neue Anforderungen, da sind neue Probleme, lasst uns die angehen, auch mit den Mitteln der Ökonomie und insbesondere mit den Mitteln des Entrepreneurship, weil Entrepreneurship ist innovative Ökonomie. Das ist der Versuch, neue Lösungen anzubringen.

Wir sind ja in einer Situation, wo man sagen kann: Eine Epoche geht zu Ende. Zumindest in den reichen Ländern ist der Mangel beseitigt, und die Ökonomie seit Beginn der Wirtschaftsgeschichte war immer mit Mangel befasst. Mit Hunger, schweren Krankheiten, schwerer körperlicher Arbeit. Und wir sind zum ersten Mal in etwas, was man früher im Märchen vom Schlaraffenland hatte, dass man soviel essen kann wie man will, dass man sogar Kuchen oder Torte soviel essen kann wie man will. Da ist ja ein Traum in Erfüllung gegangen. Und jetzt ist die Frage: Was passiert nach der Zeit des Mangels? Was sind unsere Aufgaben? Wir können ja nicht einfach weitermachen. Der Mangel ist uns ausgegangen. In der Tat nehmen viele konventionelle Unternehmen und auch viele Unternehmen das gar nicht so wahr und machen einfach weiter. Und wenn kein Mangel mehr da ist, muss der Mangel künstlich erzeugt werden. Und da werfe ich eine Werbemaschine, eine Marketingmaschine an, um künstlich Produkte herauszukitzeln. Und das finde ich sehr schade.

Jeder ist einzigartig, hat etwas beizutragen zur Ökonomie. Also, mir sind Ansätze sympathischer, wo tausend Leute eine Million Umsatz machen, was zusammen auch eine Millarde ergibt, als wenn ein Einzelner noch irgendwas im Internet macht und mit viel Venture Capital und auch einer gewissen rabiaten Vorgehensweise rasch da Marktdurchdringung macht für irgendetwas. Hauptsache Gewinn, Hauptsache eine hohe Bewertung.

Früher war es so, dass man wirklich viel Kapital brauchte, um ein Bergwerk zu eröffnen, Stahlunternehmen, Eisenbahn, da brauchte man eine riesige Kapitalie. Da kommt ja auch der Begriff Kapitalismus her. Heute sieht das anders aus. Heute können Sie mit Ihrem Laptop und einem gut durchdachten Konzept gründen fast ohne Kapital. Also, Kapital ist nicht mehr der Engpass. Auch die Managementroutinen sind nicht mehr der Engpass. Man kann heute vieles anders bewältigen, wenn Sie einen Shop haben im Internet, haben Sie eigentlich die Software in der Regel mit dabei für das, was sonst Rechnungswesen heißt. Sie können natürlich sich ein Büro von außen holen, da gibt es Bürodienstleister. Sie können die Logistik von außen holen. Also, man hat heute ganz andere Möglichkeiten, mit wenig Kapital zu gründen. Dafür braucht man gute Konzepte statt Kapital und statt sich einzuarbeiten wollen in ganze Betriebswirtschaftsfragen der Unternehmensverwaltung. Unternehmen führen muss man selber. Aber Unternehmen verwalten, und Rechnungswesen ist ja in hohem Ausmaß Unternehmensverwaltung, das muss man korrekt machen, professionell machen, aber das muss man nicht selber machen.

Es ist vielen türkischen Immigranten gelungen, hier unternehmerisch in Deutschland Fuß zu fassen und zum Teil hocherfolgreich. Was haben die gemacht? Sie haben versucht, die Ökonomie zu verstehen. Das ist auch das Friedensbildende am Entrepreneurship, gerade auch am Handel. Ich schlage doch meinen potenziellen Kunden nicht tot, sondern ich mache mit ihm Handel. Auch im Jerusalem der Zeit vor den Kreuzzügen haben sich die Christen mit den Muslimen gut verstanden, weil sie miteinander Handel trieben. Also, das verbindet. Und der Immigrant ist quasi aus persönlichem wirtschaftlichen Interesse angehalten, sich auf diese deutsche Kultur einzustellen. Also, es ist ein großer Schritt Richtung Integration. Wenn ich das nicht mache und keine Beschäftigungsmöglichkeiten biete, ist die Gefahr groß, dass die Leute in den Untergrund gehen und eben über kriminelle Mittel sich die Mittel besorgen, die sie zum Überleben brauchen. Dann haben wir ein großes Problem. Natürlich sind wir gut beraten, und gerade beim Entrepreneurship, zu sehen, dass die Emigranten eben nicht den Deutschen etwas wegnehmen, was ja die Angst vieler Bürger ist, sondern dass sie sich selber einen Arbeitsplatz schaffen, und wenn sie erfolgreich sind, ja, sogar mehr Arbeitsplätze schaffen, so dass es sogar einen positiven Beschäftigungseffekt hat.

Entscheidend ist doch, dass Beschäftigung gefunden wird. Das kann über bestehende Arbeitsplätze passieren. Da ist immer die Frage der Konkurrenz zu den Deutschen und der Widerstand dann in bestimmten Kreisen der deutschen Bevölkerung. Oder ich kann sagen: Ich nutze das Gebiet des Entrepreneurship und gründe selber etwas. Und das ist der Königsweg. Und da sehe ich auch in der Flüchtlingsdebatte Land, dass wir sagen: Ja, diese Flüchtlinge kommen ja oft auch aus Kulturen, die aufgeschlossener für Selbstständigkeit sind als die deutsche Kultur. Das muss man ja auch sagen. Da muss man ansetzen.

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