Innovationssystem

Forschen, was das Zeug hält

Konzept für die Innengestaltung eines fahrerlosen Fahrzeugs
Konzept für die Innengestaltung eines fahrerlosen Fahrzeugs. (Foto: iStock/ Chesky_W)
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Das ist schon ziemlich stark: Nie zuvor haben deutsche Unternehmen so viel Geld in die Forschung gesteckt wie im Jahr 2015: 62,4 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung um 9,5 Prozent – auch das ein Rekord. Getrieben wird diese Entwicklung von der deutschen Automobilindustrie, die ein Drittel dieser Summe aufwendet. Es sieht so aus, als habe sie die Herausforderungen angenommen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Die mächtigen Herausforderer sitzen vor allem im Silicon Valley und treiben ihrerseits mit Hochdruck neue Technologien und Systeme voran: Elektroantriebe mit immer leistungsstärkeren Batterien oder autonomes Fahren. Aber auch das Entwickeln neuer Geschäftsmodelle, in dem das Automobil als singuläres Produkt an Bedeutung verliert. Kritische Stimmen sehen in der US-amerikanischen Konkurrenz eine ernste Bedrohung für die deutschen Automobilhersteller.

Diese gehen also in die Offensive und forschen, was das Zeug hält. Doch dazu braucht es nicht nur Geld, sondern auch die entsprechenden Forscher und andere Fachkräfte. Die Unternehmen in Deutschland überraschen auch hier, denn die Zahl der in den Forschungs- und Entwicklungslabors beschäftigten Personen wuchs 2015 über alle Sektoren hinweg um 12 Prozent auf 416.059 Vollzeitstellen. Ungefähr ein Viertel davon arbeiten im Kfz-Bau. Bislang lagen die höchsten je gemessenen Steigerungsraten bestenfalls um die 6 Prozent. Forschung und Entwicklung sorgen hier für ein kräftiges Beschäftigungshoch. Der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften wächst also weiter. 

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Illustration: Mindprojection/ Michael Krause)
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Von der Autoindustrie abhängig

Die Kurven zeigen deutlich nach oben – das ist gut. Aber nicht alles bewältigen die großen Endhersteller allein. Gut 10 Milliarden Euro investiert die Automobilindustrie in Auftragsforschung, etwa bei technologieorientierten Dienstleistungsunternehmen. So ist das starke Wachstum von Forschung und Entwicklung (FuE) in diesen Dienst­leistungs­unternehmen vor allem auf Verflechtungen mit den klassischen Industriebranchen zurückzuführen. Dies ist einerseits positiv, denn es zeigt, dass hierzulande funktionsfähige und innovations­orientierte Wert­schöpfungs­ketten zu finden sind. Im Idealfall spricht man dann von einem sektoralen Innovationssystem oder einem Cluster. Oft sind diese, einem Technologiefeld zuzurechnenden Unternehmen und Forschungs­einrichtungen auch räumlich konzentriert. Andererseits zeigen diese Verflechtungen, dass die ökonomische und strukturelle Abhängigkeit Deutschlands von der Automobilindustrie noch deutlich größer ausfällt, als es der Blick auf die Branche alleine suggeriert. Insgesamt haben die Branchen der wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen ihre FuE-Aufwen­dungen im Jahr 2015 um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht. 

Maschinenbau tritt auf der Stelle

Doch nicht alle standortprägenden Branchen Deutschlands können die enorme Schlagzahl halten. Der Maschinenbau etwa tritt bei der Forschung auf der Stelle. Ein Bild, das man seit einigen Jahren auch von der pharmazeutischen Industrie kennt, die dafür immer stärker im Ausland forscht und viele Forschungsaufträge an Hochschulen und andere Unternehmen vergibt. Die Branche sucht im Ausland die Nähe zu Spitzenforschern und profitiert zudem von liberaleren gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Weitaus besorgniserregender ist allerdings die Tatsache, dass gerade diejenigen Branchen kaum in FuE investieren, die doch die Digitalisierung in Deutschland voranbringen sollen. Dies sind die Wirtschaftszweige Information und Kommunikation sowie Herstellung von Daten­verarbeitungs­geräten und elektronischen Erzeugnissen

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Gero Stenke (Foto: Bussenius&Reinicke)
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Gero Stenke

Gero Stenke ist Leiter der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband. Die Wissenschaftsstatistik ist ein Forschungs- und Beratungsinstitut des Stifter­verbandes, das im Auftrag von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft arbeitet. Sie erhebt, analysiert und interpretiert Daten zum deutschen Innovationssystem. Neben anderem erhebt sie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als einzige Institution in Deutschland detailliert die Forschungs- und Entwicklungs­aktivitäten der deutschen Wirtschaft.

Der Stillstand in diesen Branchen täuscht jedoch. Unter der Oberfläche ist viel in Bewegung und führt offenbar zu einem Strukturwandel der Unternehmenslandschaft. Während die Großunternehmen stagnieren, sind es gerade die kleinen und mittleren Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die zu den FuE-Wachstumstreibern gehören. Überhaupt sind es die kleinen Unternehmen, in denen die Forschungs­aufwendungen und das Forschungspersonal prozentual am stärksten zugenommen haben. Technologieorientierte Dienstleister, Softwareentwickler und auch Produktionsunternehmen der Computer­branchen oder des Maschinenbaus tun sich hier besonders hervor. Damit sind 17 Prozent des FuE-Personals der Wirtschaft in Deutschland in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Beschäftigten tätig. Bedeutet das, dass KMU sich stärker an Innovationsprozessen beteiligen? Das ist nicht zweifelsfrei zu sagen: In den vergangenen Jahren war eher eine verstärkte Konzentration der FuE-Aktivitäten auf eine kleiner werdende Gruppe von KMU zu beobachten. Diese Unternehmen engagieren sich dafür umso intensiver, wenden also größere Teile ihres Umsatzes für FuE auf.

Eine Frage blieb bislang mangels verfügbarer Daten stets ungeklärt: An welchen Technologien forschen die Unternehmen in Deutschland eigentlich? Der Stifterverband hat diese Frage nun erstmals den FuE-aktiven Unternehmen gestellt. Drei klare Schwerpunkte sind auszumachen:

  1. Informations- und Kommunikationstechnologien
  2. Energie-, Klima- und Umwelttechnologien
  3. Fahrzeug- und Verkehrstechnologien

Wir haben die etwas paradox anmutende Situation, dass die Branchen, die für Digitalisierung relevant sind, nur vordergründig wenig in Forschung investieren. Denn Informations- und Kommunikationstechnologien werden durchaus deutlich weiterentwickelt. Dies geschieht allerdings, und das ist ein gutes Zeichen, über viele Sektoren hinweg. Und dies wiederum bedeutet, dass die Informationstechnologie eine Schlüsseltechnologie für die gesamte deutsche Wirtschaft ist. 

„Die Zukunft der deutschen Wirtschaft wird auch ganz maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, Schlüsseltechnologien in der Breite der Produktlandschaft zu verankern.“

Gero Stenke

Ganz ähnlich verhält es sich mit Energie- und Klima­technologien, die in Produkten und Produktions­prozessen bis hin zur Entsorgung von Produkten seit längerer Zeit in Deutschland einen hohen Stellenwert genießen. Die Zukunft der deutschen Wirtschaft wird auch ganz maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, Schlüssel­technologien in der Breite der Produkt­landschaft zu verankern. Es wird für die Unternehmen auch darum gehen, möglichst agil, teils auch radikal, diverse Wissens- und Technologie­gebiete im Rahmen von Innovations­prozessen zu kombinieren. Nur auf diese Weise wird es möglich, gewohnte Pfade zu verlassen und neue Märkte zu erschließen. Hierfür gibt es international bereits viele positive Beispiele. Und das heißt: Wenn wir es nicht tun, dann tun es andere. 

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