Nun tauchen bei Ihnen die unterschiedlichsten Begriffe auf: um Ungewissheit geht es, um Risiko, um Chancen, um die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Entscheidung – sind das alles Synonyme?
Nein. Eine wesentliche Unterscheidung gibt es zwischen berechenbaren Risiken und Ungewissheit. Ein Beispiel für Ersteres ist der Roulettetisch: Da können Sie sich ganz einfach ausrechnen, wie viel Sie auf lange Sicht verlieren. Aber in vielen Situationen kann man die Risiken nicht mit Gewissheit berechnen – wie gestern die Situation in Brüssel, wo vermutlich durch einen Computerfehler mein Flug umgebucht wurde. Das nennt man Ungewissheit. Dort braucht man mehr als Berechnungen. Das ist der Bereich, in dem die Psychologie wichtig wird. Das menschliche Gehirn ist nicht dafür ausgelegt, um mit Risiken wie Glücksspiel umzugehen – wir sind nicht so gut im Rechnen wie ein Computer. Es ist besser darin, mit Ungewissheiten umzugehen; einzuschätzen, wie andere Leute denken und reagieren. Solche Dinge kann man nie völlig ausrechnen, da braucht es Intuition und Emotion.
Damit sind wir wieder bei der Frage, ob man Entscheidungen besser mit dem Kopf oder mit dem Bauch trifft.
Mein Weg in das Thema verlief übrigens genau entlang dieser Frage. Ich habe angefangen, mich mit dem Bereich des Risikos zu beschäftigen, in dem sich alles statistisch berechnen lässt. Schnell habe ich dabei aber auch erkannt, wo die Grenzen der Wahrscheinlichkeitstheorie verlaufen. Und so kam ich zu den Situationen, in denen man die Wahrscheinlichkeit nicht berechnen kann – und von denen gibt es viel mehr, als man gemeinhin denkt. Wo und wie soll man investieren? Wen soll man heiraten? Wie soll man mit einer Pandemie umgehen? Uns wird suggeriert, dass Algorithmen das alles für uns entscheiden könnten, aber so leicht ist das eben nicht. Schauen Sie sich nur die Erfolgsrate von Onlinedating-Agenturen an: Da müssen Sie zehn Jahre lang eine Mitgliedschaft bezahlen, bis Sie eine 50-zu-50-Chance haben, die wahre Liebe zu finden. Algorithmen funktionieren am besten unter bekannten Risiken, nicht unter Ungewissheit. Ich selbst habe meine Frau übrigens während meines Forschungsjahrs in Bielefeld kennengelernt, sie ist Wissenschaftshistorikerin.