Impact of Science

Unser Wissen ist frei

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(Foto: iStock/erhui1979)
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Die offene Wissenschaft hat jüngst mächtige Freunde gewonnen: Ab Anfang 2017 gilt bei der Stiftung von Bill Gates, dem wichtigsten privaten Förderer medizinischer Forschung weltweit, eine Open-Access-Richtlinie. Wer von der Bill & Melinda Gates Foundation Geld bekommt, muss alle Ergebnisse seiner Forschung unter eine freie Lizenz stellen. Und nicht nur diese: Auch „Daten, die veröffentlichten Forschungsergebnissen zugrunde liegen“, sollen unverzüglich und kostenlos zugänglich gemacht werden. Das Teilen von Forschungsdaten und Informationen ermögliche schnellere Ergebnisse im Kampf gegen „Infektionskrankheiten, Mütter- und Säuglingssterblichkeit und Unterernährung in den ärmsten Regionen der Welt“, begründet der Präsident des Programms Globale Gesundheit der Stiftung, Trevor Mundel, diesen Schritt.

Der finanzstarke Forschungsförderer könnte damit der Entwicklung von Open Science einen neuen Schub geben. Denn dass staatlich geförderte Forschung grundsätzlich öffentlich zugänglich sein sollte, wird zwar offiziell als höchst wünschenswert propagiert; im Alltag des akademischen Betriebs stößt diese Idee hingegen auf Blockaden: Wissenschaftliche Akteure reiben sich derzeit in kleinlichen Diskussionen über geschlossenen, freien oder halbfreien Zugang zu Publikationen auf. Aus dem Blick zu geraten droht so das große Versprechen von Open Science: dass so global wie generös geteiltes Wissen der Menschheit umfangreiche Erkenntnisfortschritte bescheren könnte. Dass einzelne Forscher wie die Gesellschaft als Ganzes von offener Wissenschaft profitieren – diese Idee wollen auch der Stifterverband und Wikimedia Deutschland voranbringen, indem sie „offen“ arbeitende Nachwuchswissenschaftler fördern (siehe Kasten)

Fellow-Programm Freies Wissen

Das Fellow-Programm Freies Wissen fördert junge Wissenschaftlern dabei , ihre Forschung und Lehre für alle zugänglich, nutzbar und transparent zu gestalten. „Wir wollen Nachwuchswissenschaftler dabei unterstützen, ihre Forschung und Lehre im Sinne Open Science zu öffnen“, sagt Christopher Schwarzkopf von Wikimedia Deutschland e. V., Partner des Stifterverbandes im Programm. Doch wie kann man Daten der Allgemeinheit frei zur Verfügung stellen? In welchem Medium und unter welcher Lizenz publiziert man am besten? Bei solchen praktischen Fragen werden die jungen Forscher von erfahrenen Mentoren beraten. Ein wichtiges Element des Fellow-Programms ist, den Austausch und die Vernetzung von jungen Aktiven im Bereich Open Science voranzubringen. „Langfristig sollen sie ihr Wissen später auch in die Institutionen tragen – und somit als Botschafter und Multiplikatoren für diese Idee wirken“, sagt Schwarzkopf. „Denn genau dort, in den Laboren und Instituten, wird Wissen produziert, das für die Gesamtgesellschaft relevant ist.“

Hohe Bezahlschranken verhindern Offenheit

„Offenheit ist bei Weitem noch kein Standard“, sagt Christian Heise, der zum Thema „Von Open Access zu Open Science“ promoviert hat. Er fand heraus, dass mittlerweile 18 bis 20 Prozent der deutschen Publikationen über Open Access zugänglich sind. Die Wissenschaftsverlage sitzen dabei immer noch mit im Boot. Ließen sie sich früher ihre Dienste von den Lesern und Bibliotheken teuer bezahlen, sind es nun zunehmend die Veröffentlicher (Wissenschaftler und/oder wissenschaftliche Einrichtungen) selbst, die zur Kasse gebeten werden. Dass die Verlage das Gros wissenschaftlicher Erkenntnis noch immer hinter hohen Bezahlschranken halten, stößt Heise sauer auf. „Das aktuelle Publikationssystem verhindert, dass Wissenschaftler, die an unterschiedlichen Orten zum gleichen Thema forschen, voneinander erfahren.“

Eine offenere Wissenschaftskommunikation könnte dagegen helfen, Doppelarbeit zu vermeiden, von Fehlern anderer frühzeitig zu lernen oder auch wissenschaftliche Versuche besser reproduzierbar zu machen. „Die großen Skandale der letzten Jahre – etwa in der Genforschung – beruhten vor allem auch darauf, dass letztendlich niemand wusste, wie die Experimente genau gemacht wurden und wie man sie nachvollziehen kann“, sagt Christian Heise. Fachzeitschriften, die in erster Linie an spektakulären und neuen Resultaten interessiert sind – und kaum Replikationen veröffentlichen –, gelten dabei als Teil des Problems. Einen aufsehenerregenden Artikel zu geklonten Menschenzellen des Stammzellenforschers Shoukhrat Mitalipov winkte die Zeitschrift Cell nach nur wenigen Tagen Prüfung durch. Fehler in Abbildungen seiner Studie deckte erst ein Gutachter von PubPeer auf, einer Open-Review-Plattform, auf der global vernetzte anonyme Gutachter bislang mehr als 10.000 Studien kritisch unter die Lupe genommen haben.  

„Das aktuelle Publikationssystem verhindert, dass Wissenschaftler, die an unterschiedlichen Orten zum gleichen Thema forschen, voneinander erfahren.“

Christian Heise
Christian Heise (Foto: David Ausserhofer)
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Christian Heise

Irrwege und Fehler dokumentieren

Wissenschaftliche Qualität durch Open Science lässt sich auch mit digitalen Formaten erreichen, die nicht nur Ergebnisse, sondern den gesamten wissenschaftlichen Erkenntnisprozess abbilden. Christian Heise etwa hat die gesamte Entstehung seiner Doktorarbeit online dokumentiert – Irrwege und Fehler inklusive. Lebendige, sich stets fortentwickelnde digitale Artikel werden in der scientific community allerdings nach wie vor zwiespältig gesehen. Zur Angst, sich mit Fehlern zu blamieren, kommt die Sorge, bei zu großer digitaler Transparenz könnten schon im Frühstadium der Forschung Daten und Ideen geklaut werden. Die neuen, prozesshaften Onlinejournals stellen zudem die üblichen Reputationsmechanismen auf den Prüfstand: Wissenschaftliche Reputation wird nicht mehr allein durch die Zahl der Veröffentlichungen erzielt, sondern auch durch Leistungen wie Datenerhebung und Programmierung oder auch für die Vernetzung und Kuratierung von Inhalten.

Skeptiker des offenen wissenschaftlichen Publizierens wie der Konstanzer Universitätsbibliothekar Uwe Jochum sehen in der digitalen Nachvollziehbarkeit von Open Science den Einstieg in ein undemokratisches Kontrollsystem, „das jeden Schritt von Wissenschaftlern überwacht“, wie er im November der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte. Neue, offene Plattformen dienten letztlich dem Ideentransfer und der Aneignung von geistigem Eigentum durch Konzerne, befürchtete in der gleichen Zeitung der US-Historiker und Ökonom Philip Mirowski. Start-ups wie academia.edu – wo sich Papers teilen und tauschen lassen – oder ResearchGate, das „Facebook für Forscher“, funktionierten als Spürhunde für wissenschaftliche Trends: Ihre Großinvestoren wollten sich „an den Eingängen zur modernen Kommerzialisierung des Wissens gut positionieren“. Die technologiegetriebene Öffnung der Wissenschaft führe so zu einer Art „elektronischer Landnahme“ durch Wirtschaftsunternehmen. Statt Wissenschaftsfreiheit beförderten Open-Science-Start-ups letztlich eine neoliberale Zurichtung von Forschung.

 

Eins ist sicher: Die größten Fortschritte verzeichnet Open Science stets dort, wo sich wissenschaftliche Prozesse in kleine Datenhappen zerlegen lassen. Naturwissenschaftliche Fächer liegen vorn, die Geisteswissenschaften weit zurück. Bei den Juristen etwa gebe es Vorbehalte, die in technisch-redaktionellen Eigenheiten ihres Verlags- und Publikationswesens, aber auch inhaltlich begründet seien, betont der Bonner Rechtswissenschaftler Hanjo Hamann, der im Herbst 2016 mit dem Fellowship „Freies Wissen“ ausgezeichnet wurde (siehe Porträt). „Manch einer befürchtet durch Open Science eine Verflachung des akademischen Diskurses.“ Angesichts des etwa in einer neuen Strategie des Bundesforschungsministeriums geäußerten politischen Willens, Open Access als Standard zu etablieren, müssten auch die Geisteswissenschaftler die Diskussion über eine Öffnung ihrer wissenschaftlichen Prozesse führen. „Wenn wir uns dem Diskurs darüber verweigern, werden wir einfach überrollt werden.“

Open Washing statt echter Öffnung

Ähnlich sieht dies auch Christian Heise, der die scientific community und ihre Verantwortung kritisch in den Blick nimmt: Derzeit drohe, dass einige Wissenschaftsorganisationen, Verlage und Politiker die herkömmlichen wissenschaftlichen Kommunikationsstrukturen über lange Jahre zementierten. Statt einer echten Öffnung drohe open washing: Eine nur vermeintliche Offenheit zur Imagepolitur, bei der die Kontrolle über die Inhalte aber nicht wirklich aus der Hand gegeben wird.

Wenn sich Wissenschaftler nicht selber für eigene, neue Formen des offenen Forschens und Publizierens engagierten, dann drohe nicht nur ein Verlust an akademischer Freiheit und Autonomie; es steige auch „die Gefahr, dass die öffentliche Unterstützung für die Wissenschaft erodiert und die Menschen Vertrauen in ein System verlieren, das sie nicht unmittelbar verstehen können“.

Fellows im Porträt

Der Stifterverband und Wikimedia haben Wissenschaftler mit einem Fellowship ausgezeichnet, die ihre Forschungsdaten und -methoden offen zugänglich machen wollen. Was sind Ihre Intentionen? Wir haben drei von Ihnen gefragt. 

Miriam Brassler

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Miriam Brassler (Foto: Joca's Way)
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Mirjam Braßler ist ein Energiebündel: Die Doktorandin an der Universität Hamburg moderiert im Uni-Fernsehen, wirkt mit bei Dokumentarfilmen und ist ehrenamtlich für UNICEF aktiv. Dass einer so vielfältig engagierten Nachwuchswissenschaftlerin der Blickwinkel nur einer Fachdisziplin schnell zu eng wird, verwundert kaum: Ihrem Bachelor in Volkswirtschaftslehre schob sie daher einen in Psychologie hinterher, absolvierte anschließend zwei Masterstudiengänge. „Ganz viele Schnittstellen zu anderen Disziplinen“ habe sie dabei entdeckt, dann aber festgestellt: „Trotz ähnlicher Themen weiß man nicht genau, was der andere eigentlich macht. Und man versteht es auch nicht richtig, weil man den Zugang zueinander einfach nicht hat.“ Offene Bildungsmaterialien – Open Educational Resources (OER) – könnten dabei helfen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Das Ziel, dem die Doktorandin auch dank Fellowship-Förderung näher kommen will: „Antworten auf die großen Fragen zu finden, die unsere Gesellschaften bewegen – wie etwa der Klimawandel oder die Integration von Flüchtlingen. Das schafft eine Disziplin nicht alleine.“

Benjamin Paffhausen

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Benjamin Paffhausen (Foto: [Benjamin Pfaffhausen](https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_H_Paffhausen.jpg) [CC BY-SA 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en))
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Nein, nach einer Blume sieht diese Bonbondose, aus der Drähte und blinkende Dioden ragen, wirklich nicht aus. Nicht, wenn man mit Menschenaugen blickt. Wäre man eine Biene, sagt der Doktorand Benjamin Paffhausen, so fühlte man sich unwiderstehlich angezogen. Vor allem von dem kleinen Zuckerwasserspender, der an der Seite aus der Dose ragt. Nicht nur die künstliche Blume, auch einzelne Bienen werden im Labor des neurobiologischen Instituts der FU Berlin mit Elektroden verdrahtet, um quasi aus ihrem Hirn zu lesen: Welche Areale sind aktiv, wenn sie mit der künstlichen Blume, welche, wenn sie mit Artgenossen interagiert? Eine Pionierarbeit, für die es kaum wissenschaftliche Technologie gibt. Ein Grund, weshalb Benjamin Paffhausen sich bei Arduino bedient: Dieser Open-Source-Plattform entstammt die Art von Minicomputer in der Kunstblume. Die frei verfügbaren Funktionsprinzipien, die Verständlichkeit bei Arduino, die Art, „wie dort gearbeitet wird – das wünscht man sich auch für die Wissenschaft“, sagt Freies-Wissen-Fellow Paffhausen.

Hanjo Hamann

Geschäftsverteilungsplan. Hanjo Hamann, Wissenschaftler am Bonner Max-Planck-Institut (MPI) zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, vermeidet dieses Wort lieber; Leser könnten akut in Sekundenschlaf fallen. „Die Namen der Justiz“ heißt daher das Projekt, in dem der junge Rechtswissenschaftler Daten deutscher Bundesgerichte online zugänglich macht. Mit wem waren die Gerichte besetzt? Wer hatte welche Aufgaben? Diese Informationen aus den Akten will der 29-Jährige – nun auch gefördert vom Stifterverband und von Wikimedia Deutschland – digital aufbereiten. Dass eine solche Materie spannend sein kann, zeigten die USA und ihr Supreme Court, so Hamann. Welche Auswirkungen haben welche Persönlichkeiten für die Spruchpraxis und dann letztlich für die Lebenswirklichkeit der Menschen? Solche Fragen würden in den Vereinigten Staaten leidenschaftlich diskutiert. Hierzulande sei juristische openness ein schwieriges Terrain. Bei ihm persönlich hat die Neugier die Skepsis bezwungen: Als Herausgeber einer kleinen Zeitschrift experimentiert Hamann auch mit Open Access.

Insgesamt haben Stifterverband und Wikimedia Deutschland zehn Fellows ausgezeichnet. Infos dazu finden Sie auf der Website zum Programm Freies Wissen. 

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