Mit sechs Jahren sah Ashis Nandy Dinge, die er zeitlebens nicht vergessen sollte. Das war 1943. In Nandys Heimat, der Präsidentschaft Bengalen im damaligen Britisch-Indien, herrschte eine entsetzliche Hungersnot, die ein Jahr lang andauerte. Anschließend zählte man drei Millionen Hungertote. Eine unfassbar hohe Zahl. Wer waren diese Menschen und warum hatte ihnen niemand geholfen?
Diese Fragen lassen Ashis Nandy bis heute nicht los. Er selbst hatte die Opfer damals in Kalkutta über Monate hinweg gesehen, wie sie mit Kindern auf dem Arm auf der Suche nach Essen verzweifelt durch die Straßen irrten. Wie sie stahlen, um vielleicht doch noch zu überleben. Später, als Nandy schon einer der bekanntesten indischen Sozialtheoretiker und Psychoanalytiker war, gab er diesem Ereignis einen Namen: Genozid.
Ashis Nandy ist weltweit dafür bekannt, dass er die Dinge beim Namen nennt. Der heute 82-Jährige gilt als streitbar und mutig. Als jemand, der Worthülsen entlarvt und so das mit Begriffen getarnte Geschehen sichtbar macht: Genozid statt Hungersnot. Denn Winston Churchill ließ auch 1943 Lebensmittel aus dem Kolonialreich Britisch-Indien nach Europa exportieren. Eine Ignoranz von vielen, die die Katastrophe begleiteten.