Dafür wagt die Onlineplattform – nach Open Access und Open Review – nun einen weiteren Schritt in Richtung Open Science: Seit März können Wissenschaftler über ein neues Feature der Plattform in Echtzeit zusammenarbeiten. Forschung von Anfang bis Ende zu teilen, von den ersten Rohdaten über negative Ergebnisse bis hin zum fertigen Paper – diese Idee will Projects vorantreiben. Wenn ein Wissenschaftler einen Artikel publiziere, „dann sind das vielleicht fünf Prozent von dem, was er wirklich gemacht hat. Die anderen 95 Prozent verschwinden irgendwo im Orkus. Wir wollen, dass auch diese 95 Prozent öffentlich gemacht werden können“, sagt Madisch.
Wissenschaftler müssten mit einem irgendwo schon einmal gescheiterten Forschungsansatz gar nicht erst beginnen und Fehler von Kollegen nicht noch einmal machen; sie könnten zudem bereits erhobene Daten nutzen. Eine Diskussion über Fehlschläge könne dank Projects früher ansetzen, die Offenheit Forschern neue Perspektiven aus anderen Forschungsfeldern und Disziplinen eröffnen. ResearchGate könne Ijad Madisch zufolge die Wissenschaft so insgesamt schneller und effizienter machen.
Doch Madischs Utopie, Forschung live „für alle zu öffnen“, stößt auch auf Kritik. So wurden Zweifel daran laut, dass sich – im derzeitigen Wettbewerb eines schnellen publish or perish – Wissenschaftler bereits in einem frühen Stadium ihrer Forschung in die Karten schauen lassen würden. „Dass unsere Plattform Realtime ist, ist dafür die Lösung – und nicht das Problem“, kontert Ijad Madisch diesen Einwand. Gewänne ein Forscher eine neue Erkenntnis, so wolle er diese doch möglichst schnell an die Öffentlichkeit bringen, „weil ich Angst habe, dass es sonst jemand anderes tut.“ Mit neuen digitalen Metriken ermögliche ResearchGate nicht nur, nachzuvollziehen, wer Erster war; Wissenschaftler, sagt Madisch, könnten so auch schon in einem früheren Forschungsstadium Reputation für ihre Arbeit bekommen.
Könnte sich ResearchGate auf lange Sicht zu einer Art Monopolist für wissenschaftliche Informationen entwickeln – und letztlich das herkömmliche Publikationssystem ersetzen? Madisch wischt solch spekulative Gedanken vehement beiseite. Der Mann mit dem Superman-Cap mag selbstbewusst sein, er gibt sich aber nicht größenwahnsinnig. Journals werde es auch weiterhin geben, betont Ijad Madisch, ResearchGate decke ein anderes Spektrum der Wissenschaft ab. „Ich sehe uns immer noch als Zusatz zu dem aktuellen System.“