Domitila Barros – Die Greenfluencerin

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Foto: iStock/graphorama
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Durchfechter Folge 32: Domitila Barros

Durchs nächtliche Berlin radeln und nicht beklaut werden! Das war für die Studentin Domitila Barros der helle Wahnsinn. Ihre brasilianische Heimatstadt Recife zählt zu den 50 gefährlichsten Städten der Welt. 

Sie wuchs dort in der Favela „linha do tiro“ auf, übersetzt „Schusslinien“. Und das ist nicht bloß ein Wort: Schon mit Acht oder Neun warf sich Domitila auf den Boden, wenn die „Tropa de Elite“, eine Eliteeinheit der Militärpolizei, angerast kam und aus den Autos sprang. Mit zwölf Jahren musste sie dann mit ansehen, wie Polizisten ihre beste Freundin auf offener Straße erschossen. Ein Erlebnis, das sie 24 Jahre später noch aufwühlt.

Doch ihre Kindheit war nicht nur krass und teils traumatisierend. Sie war auch voller Rückhalt, Verbundenheit, Zuversicht und Kreativität – Dank ihrer Eltern, die beide ebenfalls in der linha do tiro aufwuchsen und noch heute dort leben. Roberta und Ademilson Barros hatten sich mit Bildung ein Stück weit aus der Armut heraus gekämpft und gaben auch ihrer Tochter diese Richtung vor. So sagte ihr Vater stets: „Du verlässt mein Haus erst, wenn Du einen Bachelor-Abschluss gemacht hast.“ 

„Mein Vater hat immer gesagt: „Du verlässt mein Haus erst, wenn Du einen Bachelor-Abschluss hast!““

Domitila Barros
Domitila Barros (Foto: privat)
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Domitila Barros

Den hat Domitila Barros längst in der Tasche. Sie studierte in Recife Sozialpädagogik. An der FU Berlin setzte sie einen Master in Sozial- und Politikwissenschaften drauf. Das ist schon ein paar Jahre her. Heute berät die 36-jährige Wahlberlinerin Unternehmen. Ihr Steckenpferd sind Themen, wie Kommunikation, Nachhaltigkeit, Resilienz und Diversity. Damit verdient sie ihr Geld. Doch das ist längst nicht alles. 

In ihrem „Parallelleben“ ist Domitila Barros Model, Schauspielerin, Social Entrepreneurin und mit mehr als 90.000 Followern auf Instagram eine einflussreiche Greenfluencerin. In diese Rolle wächst sie immer tiefer hinein – weil diese Aufgabe plötzlich alles verbindet, was sie ausmacht, wofür ihr Herz schlägt. 

Schon als Kind bekam sie die für Brasilien so typischen und immens unterschiedlichen gesellschaftlichen Realitäten gut in ihrem Alltag bewältigt: hier Favela-Kind, da inmitten wohlhabender Kinder fleißige Schülerin. Viele Favela-Kinder halten das nicht durch. Sie verlassen die Schule, ohne richtig Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Denn wer das Pensum nicht schafft, fliegt. Ein Schuljahr wiederholen? Das ist an den öffentlichen Schulen Brasiliens nicht vorgesehen. 

Domitila Barros schaffte das Pensum und mutete sich später auch den ewig weiten Fußweg zur Universität im Zentrum von Recife jahrelang zu. Schon als Kind wollte sie Ingenieurin oder Model werden. Wie sich das anfühlen könnte, übte sie als Siebenjährige im spielerischen Unterricht. 

Das Angebot war Teil des Straßenkinderprojektes CAMM, das Domitilas Eltern 1984 gründeten und noch heute leiten. Eigentlich wollte Roberta Barros damals bloß drei Straßenkindern, die bei ihr geklingelt und um Essen gebeten hatten, abends Nachhilfe geben und bekochen. Doch dann explodierte die Zahl der notleidenden Kinder, die sie aufsuchten. 

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Illustration: Sven Sedivy
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So wuchs Domitila Barros inmitten von Straßenkindern auf. Mit 13 Jahren half sie im Projekt CAMM kräftig mit und entwickelte fürs Lesen und Schreiben lernen sogar eine Methode: Sie las zunächst eine Geschichte vor. Diese Geschichte wandelten die Kinder in ein Theaterspiel um. Zur Handlung überlegten sie sich dann Lieder. Diese Lieder mussten sie anschließend tanzen. Nach den Tanzeinlagen versuchten sie, die Liedinhalte aufs Papier zu bringen. Und der krönende Abschluss bestand dann darin, dass Selbstkreierte vor der Gruppe vorzulesen.

Millenium Dreamers

Domitila Barros gründete das Modelabel „She is from the jungle“. Mit den Erlösen fördert sie soziale Projekte.
Domitila Barros
Domitila Barros (Foto: privat)
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Dieses Engagement fiel auf: UNESCO-Mitarbeiter wählten Domitila Barros im Jahr 2000 mit 15 Jahren für das Programm „Millennium Dreamers“ aus. Gesucht wurden 2000 „kleine Helden des Alltags“, die auf einem internationalen Kinderkongress in Florida ihre sozialen Taten vorstellen und von ihren Wünschen fürs 21. Jahrhundert erzählen sollten. Als Domitila Barros auf der großen Bühne vor all den wichtigen Menschen stand und redete, schoss ihr Selbstbewusstsein „bis zum Mars und zurück“. Von da aus eroberte sie sich die Welt.

Bis heute klingt dieses Erlebnis nach. Damals spürte die soziale Aktivistin zum ersten Mal, was ein weltweiter Aktionismus bewegen kann. Mit vielen der 1.999 Millennium Dreamers ist sie immer noch eng verbunden. Für Domitila Barros gehören sie zur Familie. Wenn eine oder einer von ihnen ein Projekt auf die Beine stellt, helfen alle mit, damit es ein Erfolg wird. 

„Die wichtigsten Dinge für mein berufliches und privates Leben habe ich außerhalb von Institutionen gelernt.“

Domitila Barros
Domitila Barros (Foto: privat)
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Domitila Barros
Social Entrepreneurin

Mit Mode und Schmuck für soziale Projekte

Sie selbst gründete vor sieben Jahren ehrenamtlich das nachhaltige und fair produzierte Mode- und Schmucklabel „She is from the Jungle“, das alleinerziehende Mütter in der Favela „Schusslinien“ ernährt und aus häuslicher Gewalt herausholt. 10 Prozent der Einnahmen fließen in das Straßenkinderprojekt ihrer Eltern. Das Label vermeidet Gold, weil das Goldschürfen zu viel Giftmüll produziert, und setzt stattdessen auf einen nachhaltigen Rohstoff: eine brasilianische Pflanze, die gut geschützt wird und „Capim Dourado“ heißt, übersetzt „Goldenes Gras“.

Die Erfahrungen als Social Entrepreneurin aus diesem Label gibt Domitila Barros in ihrer Businessberatung weiter. Parallel steht sie über ihre Arbeit als Greenfluencerin fortwährend im engen Austausch mit Tausenden kreativen und engagierten Menschen. Dieser Kommunikation, die sie persönlich über Instagram führt, widmet die Deutsch-Brasilianerin die Hälfte ihre Arbeitszeit. Aufpolierte Selbstdarstellung lehnt sie ab. 

Domitila Barros verbreitet echte, authentische Geschichten und erhält im Gegenzug von anderen ebenso echte Gedanken, Erfahrungen, Lebensweisheiten. Für sie ist Instagram ein kraftvolles Instrument, das die Welt lebenswerter macht. Ihr geht es nicht um Follower oder Likes, sondern um das wahre Leben – mit all seinen Ecken und Kanten.

 

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