Skip to main content

Zukunftsmission Bildung · außerschulisches Lernen

Frischer Wind im Klassenzimmer

Schüler beim Roboterprojekt
Foto: unsplash+

Herr Kösters, seit 16 Jahren sind Sie beim Chancenwerk engagiert. Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Am Anfang habe ich als Student an einer Schule in Castrop-Rauxel Nachhilfe gegeben, das war eines der ersten Projekte von Chancenwerk. Viele Jahre später habe ich zufällig einen der Jugendlichen von damals wiedergetroffen. Er sagte: „Ich weiß, dass ich nicht der Einfachste war, aber dass ihr an mich geglaubt habt, das hat mir sehr geholfen!“

Eine tolle Rückmeldung! Damals war es noch ungewöhnlich, dass externe Akteure an Schulen mitwirken …
… und die Anfänge waren deshalb tatsächlich nicht einfach. Unsere Gründer, die Geschwister Şerife und Murat Vural, hatten es nicht leicht, bei Schulen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Sie wollten einfach den Schülerinnen und Schülern helfen, die diese Unterstützung brauchen, weil sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und vonseiten der Schule ist da ein großer Vertrauensvorschuss nötig, um jemand Externes ins Haus zu lassen.
 

Porträt Philipp Kösters
Philipp Kösters (Foto: privat)

„Alle Themen, die uns als Gesellschaft wichtig sind, werden in der Schule verhandelt. Warum sollten wir die Schule damit allein lassen und sagen: 'Ihr macht euer Ding, wir machen unser Ding.' Das hielte ich für grundfalsch.“

Philipp Kösters
Chancenwerk

Inzwischen hat sich einiges getan, das Chancenwerk ist bundesweit an ungefähr 100 Schulen tätig. Müssen Sie immer noch Klinken putzen?
Ich selbst bin sehr viel an Schulen unterwegs und es kommt nur noch selten vor, dass da kein Schild hängt oder kein Flyer ausliegt mit dem Hinweis auf einen externen Akteur, der dort tätig ist. Das sind ja nicht nur wir, inzwischen ist ein großes Ökosystem entstanden – und entsprechend groß ist die Bandbreite von Kooperationen: Es gibt einmalige Interventionen wie etwa ein Projekt oder eine Fortbildung für das Kollegium – oder eben Organisationen wie uns, die jede Woche mit eigenen ehrenamtlich Engagierten in den Schulen sind.

Sie sind zugleich Vorstandsmitglied im Bundesverband Innovative Bildungsprogramme, in dem gemeinnützige Kooperationspartner organisiert sind. Was sind deren thematische Schwerpunkte?
Wir sind mehr als 50 Organisationen, die alle den Anspruch haben, bundesweit agieren zu können. Thematisch ist das sehr unterschiedlich. Es gibt einen Verein, der Kindern die Erfahrung ermöglicht, mal mit den Händen im Ackerboden zu wühlen und in der Landwirtschaft anzupacken. Es sind einige Mentoring-Organisationen dabei, die mit den Kindern zum Beispiel den Sozialraum erkunden oder sie zu Berufsperspektiven beraten. Zur großen Kategorie der externen Akteure gehören aber nicht nur solche gemeinnützig tätigen Vereine – es kann zum Beispiel auch ein örtlicher Mittelständler sein, der Praktikumsplätze anbietet.

Was ist der gemeinsame Nenner in diesem breiten Spektrum?
Drehen wir dafür doch die Perspektive um: Für die Schulen geht es um die Frage, wie sie die Schulfamilie gestalten können. Und da binden sie eben das Engagement der Zivilgesellschaft mit ein.

Werden Sie dadurch nicht zu Lückenbüßern für Aufgaben, die eigentlich die Schule selbst erledigen sollte?
Ich finde, dass sich die gesamte Gesellschaft dafür interessieren sollte, wie Schule funktioniert, was in der Schule gelernt wird und wie es gelernt wird. Daraus folgt für mich, dass wir uns als Zivilgesellschaft auch für die Schulen engagieren müssen. Aber Sie haben recht, es gibt ein Risiko: Man kommt schnell zu diesem Bild vom Lückenbüßer, wenn man dieses Engagement rein kompensatorisch betrachtet – nach dem Motto: „Bis wir das selbst schaffen, können die mal mithelfen.“ Genau das halte ich aber für falsch. Ich finde das abgegriffene Sprichwort mit dem ganzen Dorf, das nötig ist, um ein Kind zu erziehen, viel zutreffender: Alle Themen, die uns als Gesellschaft wichtig sind, werden in der Schule verhandelt – von den Konfliktsituationen in der Welt über das gesellschaftliche Miteinander bis hin zur Klimakrise. Warum sollten wir die Schule damit allein lassen und sagen: „Ihr macht euer Ding, wir machen unser Ding.“ Das hielte ich für grundfalsch.

Machen Sie sich das nicht zu einfach? Es ist nun einmal so, dass reihenweise Lehrkräfte fehlen. Wenn eine Organisation wie das Chancenwerk kommt und Freiwillige an die Schulen bringt, die dort bei der Nachhilfe unterstützen – dann ist es schon eine Kapazitätsfrage, oder?
Das wäre fatal. Die Bildung muss gesteuert werden und die Politik kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, die Leitplanken zu setzen und die Regeln festzulegen. Aber unser Programm bietet übrigens auch Chancen für die angehenden Lehrkräfte.
 

Gymnasiasten beim Robotik-Projekt
Foto: unsplash+

Allianz für Schule Plus

In der Allianz für Schule Plus der Zukunftsmission Bildung hat der Stifterverband Unternehmen und Zivilgesellschaft zusammengebracht, die sich gemeinsam für eine bessere Bildung einsetzen. Ihre Aktivitäten setzen an zentralen Herausforderungen an, die Schulen allein nicht bewältigen können: bei der Chancengerechtig­keit, der Berufsvorbereitung und vor allem im MINT-Bereich. Ziel dieser Allianz ist es, den Beitrag dieser Initiativen mit dem Schulsystem zu verzahnen, zu einem übergreifenden Bildungsraum aus Unterricht, Ganztag und außerschulischer Förderung. 

Mehr zum Thema

Wodurch?
Sie können im Studium schon Praxiserfahrungen sammeln, indem sie Kinder in Schulen betreuen. Oft gibt es noch eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was die Studierenden an der Uni mitbekommen, und dem, was sie im Alltag an der Schule erwartet. Da bieten wir einen niedrigschwelligen Zugang. Manche entscheiden sich danach, doch lieber einen anderen Beruf zu ergreifen. Aber die überwältigende Mehrheit gibt uns begeisterte Rückmeldungen. Wir hören immer wieder: „Ich kann ja so viel mehr bewirken, als ich mir vorstellen konnte!“

Sie sprachen vorhin von der Gestaltung der Schulfamilie. Haben Sie den Eindruck, dass diese Schulfamilie über die vergangenen Jahre lebendiger geworden ist?
Ich beobachte, dass Schulen durch externe Kooperationen im Regelfall gewinnen. Sie gewinnen zum Beispiel eine größere Vielfalt an Hintergründen derer, die sich engagieren. Die Lehrkräfte sind schon viel diverser als früher, aber an vielen Schulen ist es trotzdem kaum möglich, eine Lebensrealität darzustellen, in der die Kinder sich selbst wiedererkennen. Wenn wir mit einem diverseren Team dort hinkommen, können wir auf ganz anderen Ebenen zu den Kindern durchdringen – etwa auch durch einen Zehntklässler, der unter unserer Anleitung einem jüngeren Schüler die Aufgaben erklärt und durch sein Beispiel zeigt, dass er es bis zum Schulabschluss geschafft hat. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Schule für solche externen Kooperationen zu öffnen. Und manchmal denke ich an meine eigenen Anfänge als ehrenamtlicher Nachhilfelehrer beim Chancenwerk zurück.

Woran konkret?
Damals hatte ich ganz idealistisch die Hoffnung, dass wir es schaffen, durch unser Engagement die Welt zu retten. Mittlerweile hat sich mein Blick da etwas verändert. Jetzt denke ich: „Wahrscheinlich schaffen wir das nicht allein. Aber wenn wir uns zusammentun, dann könnten wir das hinbekommen.“
 

Zur Person

Philip Kösters ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Chancenwerk und engagiert sich in der Impulsgruppe der Allianz für Schule Plus, die die Arbeit der Allianz konstruktiv begleitet und aktiv mitgestaltet. Beim Chancenwerk geben Studierende ehrenamtlich Nachhilfe für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche – die sich im Gegenzug verpflichten, ihrerseits jüngeren Schülerinnen und Schülern zu helfen. Kösters hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert und kam als ehrenamtlicher Helfer in Kontakt mit dem Chancenwerk.

Tauchen Sie tiefer in unsere Insights-Themen ein.
Zu den Insights
Back to top