MINT-Fachkräfte

Informatikunterricht: Seit 15 Jahren Stagnation

Schüler im Informatikunterricht
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Während Digitalisierung fast alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst hat, gibt es einen Bereich, für den das keineswegs gilt: die Schulbildung. Zaghaft wurde versucht, „fächerintegrativ“ informatische Inhalte zu vermitteln. Informatische Bildung bleibt viel zu oft dem guten Willen von Lehrkräften anderer Fächer zu überlassen. Oder das Fach ist lediglich im Wahlbereich angesiedelt. Damit überlässt man es den Schülerinnen und Schülern, zu entscheiden, ob Informatik oder beispielsweise Theater besser auf die Zukunft vorbereitet. Das Ergebnis ist häufig, dass in diesen Wahl-Informatikkursen deutlich mehr Jungen als Mädchen anzutreffen sind. 

Das Fach Informatik stagniert seit 15 Jahren. Um dies zu illustrieren, drei Beispiele aus der Oberstufe: 

  • Der Anteil der Informatikkurse lag 2005 bei 1,9 Prozent – und verharrt bis heute auf diesem Wert. 
  • Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Informatikunterricht lag 2005 bei 13 Prozent, heute bei 14 Prozent. 
  • Der Mädchenanteil hat sich seit 2005 sogar verschlechtert: Von 29 auf 26 Prozent. 

Brauchen wir nicht in einer digitalen Welt ein Grundverständnis von informatischen Zusammenhängen? Ist nicht ein verpflichtender Informatikunterricht ein Grundpfeiler für eine solche Vermittlung? 

Der Stifterverband und die Heinz Nixdorf Stiftung haben in ihrer Studie „Informatik für alle“ untersucht, welche Effekte ein verpflichtender Informatikunterricht auf die digitalen und informatischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern hat. 

Unterricht erhöht die Kompetenz

Die Auswertung zeigt, dass ein verpflichtender Informatikunterricht zu einer höheren ICT-Kompetenz (ICT=Information and Communications Technology) führt als bloßer Wahlunterricht Informatik und/oder fächerintegrativer Informatikunterricht. Mehr noch, ein verpflichtender Informatikunterricht führt dazu, dass Mädchen ICT-Kompetenzrückstände im Vergleich mit Jungen in der 6. Klasse bis zur 9. Klasse aufholen können. In Bundesländern ohne verpflichtenden Informatikunterricht bleiben die ICT-Kompetenzrückstände von Mädchen auch in der 9. Klasse noch bestehen.

„Ein verpflichtender Informatikunterricht führt dazu, dass Mädchen Kompetenzrückstände im Vergleich mit Jungen aufholen können.“

Mathias Winde (Foto: Damian Gorczany)
Mathias Winde (Foto: Damian Gorczany)
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Mathias Winde
Studienleiter

Die Untersuchung legt zudem nahe, dass insbesondere Kinder mit niedrigem sozioökonomischem Status von einem verbindlichen Lernangebot profitieren. Hier stehen ihnen Möglichkeiten und eine pädagogische Begleitung zur Verfügung - beispielsweise ein aktiver und bewusster Umgang mit einem Computer anstatt reinen Daddelns auf dem Handy – die für Kinder mit hohem sozioökonomischem Status selbstverständlich ist. Aufgrund der positiven Effekte des Informatikunterrichts und der hohen Bedeutung von informatischen Kenntnissen zur Gestaltung der Welt von Morgen, fordert der Stifterverband eine bundesweite Einführung eines Pflichtfaches Informatik in der Sekundarstufe I mit mindestens sechs Wochenstunden, das heißt mindestens einer Wochenstunde je Jahrgangsstufe. Das bedeutet nicht, dass digitales Lernen nicht eine Querschnittsaufgabe über alle Fächer hinweg ist. In allen Fächern muss beispielsweise die Beherrschung des Computers und gängiger Software ein Thema sein. Die informatischen Grundlagen bis hin zum Einstieg ins Programmieren und in das Verständnis von Datenbanken und Algorithmen muss jedoch in einem eigenständigen Pflichtfach erfolgen. 

Es fehlen 17.000 Lehrkräfte

Doch wie steht es um den Status quo des Informatikunterrichtes in Deutschland? Das haben wir in einer zweiten Studie gefragt. Es zeigt sich hier, dass gerade in der Sekundarstufe I die Angebote generell sowie deren Verbindlichkeit je nach Bundesland – und teilweise innerhalb der Bundesländer je nach Schulform – höchst unterschiedlich sind. Während beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 10. Klasse verpflichtend jeweils einmal in der Woche Informatik lernen, gibt es in Bremen und Hessen bislang kaum Unterrichtsangebote.

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Vermutlich ist das größte Hindernis für einen verpflichtenden Informatikunterricht in vielen Bundesländern der Mangel an Informatiklehrkräften. Auch hier blickte der Stifterverband einmal auf die Zahlen und trug erstmalig die Zahl der Lehrbefähigungen Informatik in Deutschland zusammen. Nach Angaben der Bundesländer ist von etwa 10.000 ausgebildeten Informatiklehrkräften auszugehen. Legt man den Anteil am Lehrpersonal im Bereich Informatik an allen Lehrkräften in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen – die Bundesländer, in denen die Verbindlichkeit des Informatikunterrichts am größten ist - zugrunde und überträgt diesen auf das gesamte Bundesgebiet, so bräuchte es derzeit etwa 27.000 Lehrkräfte im Fach. Diesem hohen Bedarf an Lehrpersonal stehen – und das seit zehn Jahren relativ unverändert – nur etwa 360 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr im Lehramt Informatik gegenüber. Es mangelt nicht an Studienangeboten, sondern viel mehr an – gerade auch weiblichen – Interessenten. 

Somit verbleiben wieder – wie schon so oft – die Aufrufe zu einer guten Einbindung von Quer- und Seiteneinsteigern, ausreichenden Angeboten zur (Nach-) Qualifizierung von Lehrenden im dritten Fach, bessere Einbindung von Praktikerinnen und Praktikern im Berufsfeld sowie die Intensivierung von Bemühungen für neue Lehramtsstudierenden Informatik. 

Die Einführung des Pflichtfachs Informatik sollte mit einer deutlichen Verbesserung der Datenlage an Schulen einhergehen. Derzeit sind viele Daten über die Bundesländer hinweg nicht standardisiert, nicht vergleichbar oder werden gleich gar nicht erhoben. Der Stifterverband wird daher gemeinsam mit der Heinz Nixdorf Stiftung und der Gesellschaft für Informatik in den nächsten Jahren beobachten, wie sich der Informatikunterricht in den einzelnen Bundesländern verändert – und ob nach 15 Jahren Stagnation jetzt endlich Bewegung in die informatische Bildung in Schulen kommt.

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Mathias Winde leitet im Stifterverband den Programmbereich „Hochschulpolitik und -organisation“. Er ist Co-Autor der hier vorgestellten Studien. 

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