Gesundheitswirtschaft als Innovationsmotor für Deutschland

 
Deutschland kann seine Wachstumsschwäche durch die Förderung der Gesundheitswirtschaft überwinden. Das Forschungspotenzial dafür ist vorhanden. Ein Aktionsplan von Michael Kaschke und Otmar D. Wiestler.

 

Der Wirtschaftsstandort Deutschland stützt sich seit langer Zeit auf ingenieurstechnische und forschungsintensive Branchen wie die Automobilindustrie, die Chemieindustrie, die Energiewirtschaft oder den Maschinenbau. Das geschieht sowohl in den großen international aufgestellten Unternehmen als auch im hochinnovativen Mittelstand. Doch aufholende internationale Konkurrenz und die sinkende Innovationskraft in Deutschland setzen diesen Schlüsselbranchen erheblich zu. Hinzu kommen ein deutlicher Rückstand in dynamischen Bereichen wie KI-Technologien, bürokratische Hürden und der Fachkräftemangel.

Die großen globalen Herausforderungen unserer Zeit tragen zur Komplikation bei, bieten gleichzeitig aber auch enorme Chancen, wenn wir es schaffen, grundlegende Weichen für die Zukunft richtig und konsequent zu stellen. Fallen die dazu notwendigen Entscheidungen hingegen nicht mutig genug aus, dann droht Deutschland durch den Innovationsverlust in zentralen Wirtschaftsbereichen zurückzufallen. Ohne eine innovative und dynamische Wirtschaft aber sind Wachstum und Prosperität in Deutschland nicht zu sichern. Deshalb sehen wir es als ein Gebot der Stunde, Forschung, Entwicklung und ein starkes Innovationssystem signifikant zu stärken.

Operation (Symbolbild) (Foto: Carloscruz Artegrafia/Pexels)
Operation (Symbolbild) (Foto: Carloscruz Artegrafia/Pexels)
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Foto: Carloscruz Artegrafia/Pexels
Der Wirtschaftsstandort Deutschland als Patient – eine Operation am offenen Herzen

 
Wenn wir visionär denken und heute die Fundamente für Zukunftsmärkte legen, die in ein oder zwei Dekaden ebenso für Deutschland stehen wie über lange Jahre die Automobilindustrie oder der Maschinenbau, dann lohnt sich vor allem ein Blick auf den Gesundheitssektor – ein Bereich, der bereits heute enorm zur Wirtschaftskraft beiträgt und durch beeindruckende Innovationsleistungen sowie globale dynamische Entwicklungen besticht. Der Sektor trägt etwa zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Im Gesundheitswesen arbeiten hierzulande rund sechs Millionen Menschen. Durch den demografischen Wandel und die zunehmende Alterung der Weltbevölkerung steigt der Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen auch global zukünftig dramatisch an. Bis 2050 wird fast jeder vierte Mensch auf der Erde über 60 Jahre alt sein. Gleichzeitig wächst durch den wirtschaftlichen Aufschwung insbesondere in den asiatischen Ländern die Mittelschicht mit entsprechenden Möglichkeiten der medizinischen Versorgung. In den kommenden Jahren könnte daher der Gesundheitssektor auch als wichtiger Exportmarkt noch deutlich mehr an Bedeutung gewinnen.

Mit zahlreichen innovativen Medizintechnikunternehmen, Unternehmen aus der Pharma- und Biotechbranche, vielen Weltmarktführern und hidden champions ist die Gesundheitswirtschaft in Deutschland heute gut positioniert und genießt mit ihren Produkten und Dienstleistungen hohes Ansehen in der Welt. Die Erfolge von Unternehmen wie BioNTech in Mainz, Siemens Healthineers in Erlangen oder Storz in Tuttlingen zeigen eindrucksvoll, welch enormes Potenzial in diesem Bereich steckt. Wir verzeichnen auch eine zunehmende Zahl von Unternehmensgründungen mit medizinischem Schwerpunkt – insbesondere im Bereich digitaler Technologien. Hinzu kommen weltweit renommierte Einrichtungen der Gesundheitsforschung im akademischen Sektor sowie in der Wirtschaft.  

Fallen die notwendigen Entscheidungen nicht mutig genug aus, dann droht Deutschland durch den Innovationsverlust in zentralen Wirtschaftsbereichen zurückzufallen.

  
Trotz dieses Potenzials steht der Gesundheitssektor im Vergleich zu anderen Sparten für die Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik nicht im Fokus und wird hier als Zukunftsbranche unterbewertet. Öffentliche Diskussionen konzentrieren sich häufig allein auf steigende Gesundheitskosten oder die Angst   vor unzureichender medizinischer Versorgung. Die enormen und langfristigen Wachstumschancen hingegen, welche nicht zuletzt auf den Fortschritten in der biomedizinischen Forschung, der Ingenieurstechnologien oder auf digitalen Lösungen und Künstlicher Intelligenz basieren, werden nur unzureichend gesehen. Um dieses Potenzial als Motor für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung des Landes voll zu heben, muss die Gesundheitsbranche in den Zukunftsplanungen und künftigen Koalitionsverträgen eine wesentlich höhere Priorität erhalten. Dafür schlagen wir einen Aktionsplan mit folgenden Maßnahmen vor:

  • Innovationsfördernde Rahmenbedingungen:  Wir brauchen ein Bündel von abgestimmten Maßnahmen und Gesetzen, insbesondere zum Abbau regulatorischer Hürden, sowie eine faire Vergütung für Innovationen im Gesundheitssystem.
     
  • Digitalisierung: Der Gesundheitssektor profitiert maßgeblich von digitaler Transformation, insbesondere durch Künstliche Intelligenz. Letztere verbessert Prozesse, ermöglicht personalisierte Medizin und fördert präventive Maßnahmen sowie Früherkennung von Krankheiten. Daher brauchen wir eine durchgehende Digitalisierung mit Infrastruktur und nutzbringenden Applikationen für Mediziner, Patienten und Kostenträger. Hier sind zielgerichtete und beschleunigend wirkende Investitionen erforderlich. Ein Nebeneffekt ist die Effizienzsteigerung im System, Reduktion von Bürokratie und die Möglichkeit über die Nutzung von großen anonymisierten Daten zu neuen medizinischen Therapien und Vorsorgeleistungen zu kommen.
     
  • Forschung und Innovation: Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsforschung, Spitzenmedizin und Wirtschaft können bahnbrechende Innovationen entstehen. Ein Weg ist der Aufbau von Spitzenclustern, die sich auf zentrale medizinische Themen wie zum Beispiel Krebs, Diabetes und neurodegenerative Alterserkrankungen fokussieren. Hier sollten relevante Bereiche in engem Schulterschluss zusammenarbeiten. Die Förderung der daraus zu bildenden Start-ups sind entscheidend, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in diesem Zukunftssegment zu steigern.
     
  • Prävention als Zukunftsmarkt: Der Fokus muss stärker auf Prävention statt auf Reparaturmedizin gelegt werden. Hierzu sind gesetzliche Bedingungen zu schaffen und Investitionsanreize zu setzen. Dies eröffnet nicht nur neue medizinische Möglichkeiten, sondern auch erhebliches wirtschaftliches Potenzial und Chancen für Deutschland als Vorreiter. Der medizinische Durchbruch von GLP-1-Medikamenten wie die sogenannte Abnehmspritze ist ein eindrückliches Beispiel dafür. Deren Grundlagen wurden maßgeblich in Deutschland erforscht. In Zukunft muss es uns gelingen, bei vergleichbaren Entwicklungen auch federführend in der Vermarktung zu werden.
     
  • Förderung von Talenten: Solche Erfolge im Gesundheitssektor hängen entscheidend von gut ausgebildeten Talenten ab. Besonders wichtig ist es, Fachwissen in digitalen Technologien und Datenmanagement zu vermitteln und das Arbeitsumfeld und die Vergütung im Gesundheitssektor zu verbessern, um die Attraktivität dieser Berufe zu steigern. Für internationale Talente aus Forschung und Entwicklung muss Deutschland ein priorisierter Standort werden – vom Brain Drain zum Brain Gain.

Eine enge Zusammenarbeit aller relevanten Akteure ist erforderlich und sollte von einem hochkarätig besetzten nationalem Gremium koordiniert werden.

 
Um die zuvor genannten Punkte auszuarbeiten und erfolgreich umzusetzen, ist eine nationale Initiative zur Stärkung des Gesundheitssektors notwendig. Eine solche Initiative darf nicht an ministeriellen Ressortzuschnitten scheitern. Daher ist eine enge Zusammenarbeit aller relevanten Akteure erforderlich und sollte von einem hochkarätig besetzten nationalem Gremium koordiniert werden. Auch die Einbeziehung internationaler Experten aufgrund der globalen Bedeutung der Branche ist wichtig. Die weltweiten Wettbewerber werden nicht auf uns warten und die Strukturkrise in anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft zeigt, dass wir keine Zeit verlieren dürfen. Die Ideen liegen auf dem Tisch und die Startposition ist gut.

Der Jahrzehnte andauernde Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland gründet sich auf Innovation, wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diese Innovation ermöglichten, und einer weltweit anerkannten Qualität in der Ausbildung von Fachkräften. An diese Stärken müssen wir anknüpfen. Wenn wir heute die richtigen Weichen stellen, können wir das frühere Erfolgsmodell der deutschen Industrie auch in Zukunftsbranchen wie dem Gesundheitssektor wiederholen.

 

Die Autoren des Beitrags

Michael Kaschke (Foto: David Ausserhofer)
Michael Kaschke (Foto: David Ausserhofer)
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Michael Kaschke
Präsident des Stifterverbandes
ehemaliger Vorsitzender des Vorstands der ZEISS Gruppe

Foto: David Ausserhofer

Otmar Wiestler (Foto: Phil Dera)
Otmar Wiestler (Foto: Phil Dera)
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Otmar D. Wiestler
Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft

Foto: Phil Dera