Diskussionspapier
Das im Januar 2022 veröffentlichte Paper wurde vom Stifterverband in Zusammenarbeit mit McKinsey & Company erstellt.
In der "Schule der Zukunft" brauchen Lehrerinnen und Lehrer nicht nur fachliche, sondern vermehrt auch überfachliche – personelle, digitale und transformative – Kompetenzen, um Schulen und Lernen erneuern zu können. Die in der Publikation dargestellten Ergebnisse basieren auf den Ergebnissen einer Umfrage unter 432 Abiturientinnen und Abiturienten (aktuelle Abiturjahrgänge), die im Sommer 2021 zu den Themen Berufsneigung, Wahrnehmung des Lehrerberufs und persönliche Stärken befragt wurden.
Die zentralen Aussagen des Papers:
Bildung ist die wichtigste Ressource Deutschlands. Eine gute Schulbildung legt den Grundstein für die Ausbildung von hochqualifizierten Fachkräften. Das Lehrpersonal nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein und wurde – zurecht – während der COVID-19-Pandemie als eine von mehreren systemrelevanten Berufsgruppen in den medialen Fokus gestellt. Sowohl bei den Schülerinnen und Schülern als auch bei den Eltern, die im Homeschooling zum Teil in die Lehrerrolle geschlüpft sind, hat sich die Wahrnehmung des Berufsbilds geändert.
Mit den zunehmend komplexen, globalen und digitalen Herausforderungen für kommende Generationen steigen auch die Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer. Um die "Schule der Zukunft" zu gestalten, müssen sie sowohl fachliche als auch personelle, digitale und transformative, also überfachliche Kompetenzen besitzen. Bestehendes Lehrpersonal sollte in diesen Kompetenzen durch Fort- und Weiterbildungen gefördert werden, aber auch in der Ausbildung neuer Lehrkräfte sollten diese Kompetenzen eine zentrale Rolle spielen.
Um zu erfahren, in welchem Ausmaß die nächste Generation Lehrerinnen und Lehrer eine grundlegende Affinität hinsichtlich dieser Kompetenzen mitbringt, haben der Stifterverband und McKinsey 432 Abiturientinnen und Abiturienten befragt. Neben Einschätzungen zu fachlichen und überfachlichen Kompetenzen wurde abgefragt, wie groß der Wunsch ist, einen Lehrerberuf zu erlangen, sowie welche Motivation dafür oder dagegen sprechen würde.
Fachliche Kompetenzen: Kompetente Lehrerinnen und Lehrer sind nicht nur sicher in dem Lehrstoff, den sie vermitteln, sondern bilden sich auch während ihrer Berufslaufbahn in ihrem Fachbereich weiter. Darüber hinaus müssen sie die individuellen Wissens- und Kompetenzentwicklungen ihrer Schülerinnen und Schüler im Blick haben. All dies erfordert eine gewisse kognitive Flexibilität. Diese korreliert unter anderem mit der Abiturnote, welche in dieser Studie daher als Referenzpunkt genutzt wird.
Überfachliche Kompetenzen: Neben fachlichen Kompetenzen benötigen die Lehrkräfte von morgen zunehmend überfachliche – personelle, digitale und transformative – Kompetenzen. Um Wissen und Kompetenzen effektiv vermitteln zu können, müssen Lehrerinnen und Lehrer auf die individuellen (Lern-)Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler eingehen können. Grundlegend dafür sind personelle Kompetenzen wie Empathie oder eine Freude am Umgang mit Jugendlichen. Die Pandemie und der zeitweise Wechsel zum Distanzunterricht haben unterstrichen, wie wichtig digitale Kompetenzen bei Lehrerinnen und Lehrern sind. Auch in Zukunft werden die Schule sowie Problemstellungen und deren Lösungen digitaler werden. Eine Affinität für Digitales bei zukünftigen Lehrkräften ist demnach begrüßenswert.
Transformative Kompetenzen sind die zentralen Skills für eine Welt im Wandel. Sie befähigen den Einzelnen, gesellschaftliche Probleme in einer zunehmend unbeständigen und komplexen (Arbeits-)Welt besser analysieren und lösen zu können. Beispiele sind Veränderungskompetenz, Missionsorientierung oder Dialog- und Konfliktfähigkeit. Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet dies insbesondere Kompetenz im Umgang mit und in der Vermittlung von technologischen Innovationen sowie die Fähigkeit, die Institution Schule von innen heraus nachhaltig zu verbessern. Sie sollten zudem in der Lage sein, ihren Unterricht auf gesellschaftliche Herausforderungen auszurichten, und sich veränderungsfähig zeigen, um über Lehr- und Schulinnovationen mit interessierten Gruppierungen (Eltern, Kommunen, Schülerschaft) in einen Dialog treten zu können (Dialog- und Konfliktfähigkeit, Missionsorientierung). In dieser Studie werden diese personellen, digitalen und transformativen Kompetenzen durch eine Selbsteinschätzung der fünf besonderen Stärken jeder Person erhoben.
Die Abiturientenumfrage zeigt, dass die besten Schülerinnen und Schüler den Lehrerberuf zwar am meisten wertschätzen, aber am wenigsten geneigt sind, diesen auszuüben. Der Notenschnitt der Befragten mit Neigung zum Lehrerberuf sank seit der letzten Befragung auf 2,5.
Der Lehrerberuf hat hohes Ansehen bei Abiturientinnen und Abiturienten. Die Befragten wählten den Lehrerberuf in die Top 3 der Berufe mit dem höchsten gesellschaftlichen Ansehen. Nur Ärztinnen und Ärzte sowie Polizistinnen und Polizisten schneiden noch besser ab. Am höchsten ist die Anerkennung des Lehrerberufes bei den Schülerinnen und Schülern mit den besten Noten.
Top-Schülerinnen und Top-Schüler entscheiden sich trotz des hohen gesellschaftlichen Ansehens seltener für den Lehrerberuf. Lag der Abiturdurchschnitt derjenigen, die planen, auf Lehramt zu studieren, 2014 noch bei 2,1, beträgt er 2021 nur noch 2,5. Gute Abiturnoten allein befähigen zwar nicht zwangsläufig zum Lehrerberuf, sind aber ein guter Indikator für fachliche Versiertheit. Interessant: Rund zehn Prozent der Top-Schülerinnen und Top-Schüler geben als Berufswunsch Influencer beziehungsweise Influencerin an – fast so viele, wie sich für ein Lehramtsstudium entscheiden würden.
Doch warum entscheiden sich Top-Schülerinnen und -Schüler so selten für ein Lehramtsstudium? Anscheinend erfüllt der Lehrerberuf nicht alle Merkmale, die sich Schülerinnen und Schüler mit besseren Noten bei einem Beruf wünschen. In dem Survey gaben Abiturientinnen und Abiturienten mit Notendurchschnitt 1,9 oder besser an, dass – unter einer Auswahl 14 möglicher Berufsattribute – ihnen die fünf wichtigsten bei der Berufswahl "Spaß an der Arbeit", "Einkommen", "Sicherheit", "Aufstiegsmöglichkeiten" und "Freizeit" waren. Allerdings befand die gleiche Gruppe unter der gleichen Auswahl von Berufsattributen nur Sicherheit als eine der Top 5 Berufsattribute, die auf den Lehrerberuf zutreffen. Die anderen gewünschten Berufsattribute "Spaß an der Arbeit", "Einkommen" und "Freizeit" belegten die Plätze 8 bis 10; "Aufstiegsmöglichkeiten" sogar den letzten Platz. Die zentrale Bedeutung von Sicherheit bei der Berufswahl zur Lehrkraft deckt sich auch mit aktuellen Befunden einer Langzeitstudie der Universität Tübingen unter Beteiligung von rund 3.600 Schülerinnen und Schülern. Als weiterer wichtiger Faktor wird hier der Wunsch der Eltern nach einem Lehramtsstudium ihrer Kinder genannt.
Während die personalen Kompetenzen durchaus positiv zu bewerten sind, bringen noch nicht alle Schülerinnen und Schüler, die Interesse an einem Lehramtstudium haben, ausgeprägte digitale und transformative Kompetenzen mit.
Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, um gute Schülerinnen und Schüler für ein Studium zu gewinnen. Von besseren Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten werden zudem diejenigen profitieren, die schon jetzt im Lehrberuf tätig sind. Politik, Privatwirtschaft und Hochschulen sollten bei der Umsetzung der Maßnahmen an einem Strang ziehen.
Inhaltliche Leitung und Ansprechpartner
Mathias Winde, Stifterverband
Julia Klier, McKinsey & Company
Projektteam Stifterverband
Volker Meyer-Guckel, Eike Schröder, Felix Süßenbach, Mathias Winde
Projektteam McKinsey & Company
Sebastian Buck, Solveigh Hieronimus, Julia Klier, Julian Kirchherr,
Mathias Keller, Moritz Metzger, Neslihan Sönmez, Frederik Schulze Spüntrup
Redaktion
Kirsten Best-Werbunat, Simone Höfer
Zu den Themenfeldern des Hochschul-Bildungs-Report 2020
sind im Herbst 2021 fünf weitere Paper erschienen: