FuE-Erhebung weiterentwickeln

Policy Paper 05 – Dezember 2020

Policy Paper "FuE-Erhebung weiterentwickeln" (Cover)

Die wichtigsten Ergebnisse des Projektes "NEO-Indikatorik":

  • Das wissenschaftliche FuE-Personal ist ein besserer Indikator als die FuE-Aufwendungen.
  • Technologien sollten in der FuE-Erhebung eine größere Rolle spielen.
  • Der Dynamik von Unternehmen sollte mehr Beachtung geschenkt werden.
  • Die Erhebung von Forschungsnetzwerken würde wichtige Zusatzinformationen liefern.

Das Projekt "NEO-Indikatorik": Eine kurze Übersicht

Der Stifterverband untersucht bereits seit vielen Jahrzehnten im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die FuE-Aktivitäten der Deutschen Wirtschaft. Er stellt dabei Zahlen bereit, die von der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft gleichermaßen genutzt werden. Internationale Vorgaben von Seiten der OECD (Frascati-Handbuch) machen die Zahlen auch mit anderen Ländern vergleichbar und ermöglichten so zum Beispiel die Definition des 3-Prozent-Ziels (inzwischen 3,5-Prozent-Ziel).

Das große öffentliche Interesse am Thema Forschung und Entwicklung zog es nach sich, dass immer mehr Fragen an die FuE-Statistik gestellt werden, die über die eigentliche Intention der Erhebung hinausgehen und die daher aus der FuE-Statistik auch nicht beantwortet werden können. Daher ergreift das BMBF selbst immer wieder die Initiative, um nicht nur die FuE-Statistik, sondern das gesamte darum herum gewachsene Indikatoriksystem weiterzuentwickeln. Aus einer dieser Initiativen ist das Projekt "NEO-Indikatorik" als Kooperationsprojekt von Stifterverband, FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und der Universität Bremen entstanden. Wir widmen uns im Rahmen dieses Projekts folgenden Fragestellungen:

  1. Aus einer kritischen Betrachtung der FuE-Erhebung heraus untersuchen wir aus der Literatur bekannte FuE-Indikatoren. Können sie eine Alternative zu den Indikatoren der FuE-Erhebung sein? Stellen sie eher eine Ergänzung dar? Wo bleiben noch Informationslücken?
  2. In einer modernen Welt verliert die klassische Kategorie der "Branche" immer mehr an Bedeutung. Forschung erfolgt vielmehr auf der Basis von Technologien. Wie müsste man die FuE-Erhebung weiterentwickeln, um dem gerecht zu werden?
  3. Die Darstellungen der FuE-Erhebung sind als komparativ-statisch zu charakterisieren. Allerdings zeichnet sich der Unternehmenssektor durch eine hohe Dynamik und Agilität aus. Wie kann diese Dynamik Einzug in die FuE-Erhebung finden?
  4. Forschung und Innovation findet heute oftmals in Netzwerken statt. Wie können diese Netzwerke erfasst werden? Wie verändert das die FuE-Indikatorik?

 

Ein kritischer Blick auf die FuE-Erhebung

Im Zentrum der FuE-Erhebung stehen die Indikatoren "Aufwendungen für interne FuE" sowie das "FuE-Personal". Die Logik der FuE-Erhebung ist dabei eine rein quantitative: Je höher die Aufwendungen beziehungsweise je mehr Personal, desto "mehr" FuE wird betrieben. Die genannten Indikatoren haben dabei einige Vorteile:

  • Sie sind auf alle Sektoren (Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstitute) anwendbar.
  • Sie sind sinnvoll aggregierbar, das heißt man kann sie einfach aufaddieren.
  • Zumindest die internen FuE-Aufwendungen sorgen für eine überschneidungsfreie Messung, denn: "Jeden Euro kann man nur einmal ausgeben."
  • Und nicht zu vernachlässigen: Sie sind leicht verständlich und kommunizierbar.

Daher haben sich diese Indikatoren sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft seit langem durchgesetzt. Wissenschaftliche Untersuchungen werden mit ihnen genauso durchgeführt wie politische Ziele formuliert. Dennoch ist bei genauerem Hinsehen nicht alles Gold, was glänzt:

  • Es gibt keine qualitativen Aussagen.
  • Die Outputseite des Forschungsprozesses wird vernachlässigt.
  • Die FuE-Aufwendungen werden nominal gemessen. Ein adäquater Deflator fehlt bis heute.
  • Es gibt kapital- und weniger kapitalintensive Forschung. Bei kapitalintensiver Forschung ist aber die Quantität nicht höher.
  • Eine geringe Produktivität sowohl des Kapitals als auch der Arbeit findet keinen Niederschlag in der Statistik.
  • Der Nutzen von Forschung wird oftmals nicht sofort deutlich, kann aber dennoch wichtige Erkenntnisse bringen. Diese oftmals als "erfolglos" bezeichnete Forschung wird in der FuE-Statistik zwar miterfasst, aber nicht ausgewiesen.

Dennoch zeigen die Ergebnisse des Projektes "NEO-Indikatorik", dass bei aller Kritik an den Indikatoren der FuE-Erhebung kein Weg an ihnen vorbeigeht. Keiner der aus der Literatur bekannten sehr zahlreichen Indikatoren ist ein Ersatz für die FuE-Erhebung. Sie sind jedoch eine sinnvolle Ergänzung. Daher lauten unsere Vorschläge für die Weiterentwicklung der FuE-Erhebung:

  • Vorsicht bei der Interpretation. Hohe Aggregationen zum Beispiel auf Länderebene sind meist wenig sinnvoll interpretierbar.
  • Schaffung von Anknüpfungspunkten mit anderen Erhebungen (zum Beispiel der Patentstatistik) um eine sinnvolle Vergleichbarkeit der Ergebnisse und damit eine Ergänzung der FuE-Erhebung zu erzielen.
  • Entwicklung eines eigenen FuE-Deflators und Einbeziehung der realen Werte in die Berichterstattung.
  • Ein vor allem zwischen den Sektoren und auch international gut vergleichbarer Indikator ist die "Anzahl des wissenschaftlichen FuE-Personals". Ihm sollte in der Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
  • Schaffung eines international standardisierten Indikatoriksystems in Ergänzung zur FuE-Erhebung, das auf die Besonderheiten der Sektoren, aber auch innerhalb der Sektoren (Branchen, Fachgebiete in Hochschulen und so weiter) mehr Rücksicht nimmt.
  • Stärkere Berücksichtigung der Technologieperspektive
  • Erfassung von FuE-Kooperationen stärken

 

Technologien

Ein Autohersteller stellt Autos her? Klar tut er das. Aber er beteiligt sich auch an der Entwicklung von alternativen Energieformen oder an der Umwelttechnologie. Umgekehrt kann das Auto nicht gebaut werden, wenn sich die Textilindustrie, Glashersteller oder die chemische Industrie (und noch viele andere) nicht daran beteiligen. Aus diesem kleinen Beispiel sehen wir zweierlei: Zum einen bedarf es einer branchenübergreifenden Zusammenarbeit um bestimmte Produkte herzustellen. Zum anderen werden Technologien branchenübergreifend entwickelt und verwendet. Die Aussagen der FuE-Erhebung in ihrer klassischen Branchenabgrenzung sind daher an verschiedenen Stellen nicht unproblematisch. Im Jahr 2015 wurden die Unternehmen deshalb erstmals nach den von ihnen verwendeten Technologien gefragt. Nach einigen Anpassungen wird die Frage seit 2017 standardmäßig gestellt. Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass die Energieforschung in Deutschland weitaus intensiver betrieben wird als es die Zahlen der Energieversorger aussagen. Hier sind vor allem Elektrotechnik und Maschinenbau führend. Auch die IT-Forschung ist in Deutschland weitaus besser als ihr Ruf. Allerdings sind es nicht unbedingt die reinen IT-Unternehmen, die die Forschung vorantreiben, sondern oftmals Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe.

FuE-Zahlen für Technologien werden in Zukunft von großer Bedeutung sein. Daher ist es wichtig, dass BMBF und Stifterverband diese Frage in die FuE-Erhebung implementiert haben. Sie sollte unbedingt weitergeführt werden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang noch zu leisten:

  • Schaffung einer Liste von Technologien, die es ermöglicht eine eindeutige, überschneidungs- und widerspruchsfreie Zuordnung vorzunehmen. Die bisher verwendete Leistungsplansystematik des Bundes kann das nicht leisten.
  • Internationalisierung des Konzeptes durch Zusammenarbeit vor allem auf OECD-Ebene zur Erstellung internationaler Vergleichszahlen. Bisher gibt es einige nationale Ansätze, die zusammengefasst werden könnten. Langfristig sollte neben der Branchendarstellung eine internationale Parallelberichterstattung auf Technologieebene etabliert werden.
  • Mittelfristige Implementierung des Konzeptes in das Frascati-Handbuch
Interne FuE-Aufwendungen des Wirtschaftssektors nach Technologien (in Prozent)
Interne FuE-Aufwendungen des Wirtschaftssektors nach Technologien (in Prozent)

Innovationsnetzwerke

Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, relevante Bereiche ihrer FuE in Innovationsnetzwerken, also in Kooperation mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, zu organisieren. Innovationsnetzwerke als komplexe Beziehungsgeflechte stellen insbesondere in wissensbasierten Technologiefeldern eine wesentliche Erfolgsdeterminante dar. Durch die Mitarbeit in Netzwerken findet ein Transfer von Wissen statt, durch eigene FuE wird die Fähigkeit gestärkt, Wissen aus dem Netzwerk zu absorbieren und intern nutzbar zu machen. Dennoch sind Informationen über die Vernetzung von Akteuren derzeit noch kein Bestandteil der amtlichen Statistik. Das heißt, trotz der hohen Relevanz der Netzwerke für den Innovationserfolg (nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern für ganze Cluster und Regionen), erfolgt die Erfassung mittels geeigneter Indikatorik bislang nicht systematisch.

Entsprechend schlagen wir folgende Ergänzungen für die FuE-Erhebung vor:

  • Entwicklung beziehungsweise Nutzung eines Indikatoriksystems zum Monitoring der Netzwerkaktivitäten
  • Abfrage der Netzwerkaktivitäten im Bereich FuE und deren Relevanz für den Innovationserfolg
  • Verknüpfung mit Sekundärquellen zum Beispiel hinsichtlich der Unternehmensdynamik und Wertschöpfung

 

Die Dynamik von Unternehmen

Die Lebensgeschichte von Unternehmen nachzuvollziehen, ist ein wichtiger Schritt bei der Betrachtung von Innovationsnetzwerken. Bisher wird die Analyseeinheit "Unternehmen" nur statisch dokumentiert. Doch Unternehmen haben eine bewegte Geschichte. Im Laufe der Zeit können Ereignisse wie beispielsweise Übernahme, Zusammenschluss oder Ausgründung die Einheit Unternehmen verändern. Dies führt zu Schwierigkeiten bei einer sauberen Koppelung von wiederholt in Erscheinung tretenden Unternehmen bei der Konstruktion von Paneldatensätzen. Denn diese Unternehmensereignisse führen zu Veränderungen der Firmenpopulation innerhalb eines Industriezweiges oder eines Technologiefeldes. Sie beeinflussen auch die Wissensbasis und somit die FuE-Aktivitäten von Unternehmen.

Daher empfehlen wir im Hinblick auf die Weiterentwicklung der FuE-Erhebung folgende Ergänzungen:

  • Eine standardisierte Erfassung von Firmenereignissen basierend auf Ereignisklassen zusätzlich zu der rechtsformbasierten Erfassung
  • Verknüpfung zum Beispiel mit Kooperationsverbindungen von Unternehmen, um eine dynamische Netzwerkbetrachtung zu ermöglichen
  • Auf Basis der Unternehmensereignisse lassen sich weitere Indikatoren entwickeln, zum Beispiel die Patenthistorie von Unternehmen, welche eine wichtige Ergänzung auf der Outputseite des Forschungsprozesses darstellt.
Umsetzung von Unternehmensergebnissen in eine Datenbank zur Erfassung der Unternehmensdynamik
Umsetzung von Unternehmensergebnissen in eine Datenbank zur Erfassung der Unternehmensdynamik

Die Erhebung zu Forschung und Entwicklung im Wirtschaftssektor, die jährlich vom Stifterverband im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wird, ist Teil der weltweiten FuE-Erhebung. Zusammen mit dem Statistischen Bundesamt liefert der Stifterverband Zahlen zu den FuE-Aktivitäten in Unternehmen, Hochschulen und staatlichen Forschungsinstituten in Deutschland. Vorgaben der OECD und der EU sorgen dafür, dass die Zahlen international vergleichbar sind und als Basis für wissenschaftliche Untersuchungen und die Setzung politischer Ziele dienen können. Veröffentlicht werden die Zahlen vom Stifterverband, dem Statistischen Bundesamt, dem BMBF, der EU, der OECD und der UNESCO.

Die Autorinnen und Autoren

  • Prof. Dr. Andreas Kladroba, Stifterverband, FOM-Hochschule
  • Dr. Tobias Buchmann, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg
  • Patrick Wolf, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg
  • Katharina Friz, Universität Bremen
  • Marcel Lange, Universität Bremen