Policy Paper 03 – April 2019
Forschung und experimentelle Entwicklung (FuE) sind eine schöpferische und systematische Arbeit zur Erweiterung des Wissensstands und zur Entwicklung neuer Anwendungen auf Basis vorhandenen Wissens (Frascati Manual, OECD 2015). So braucht jedes forschende Unternehmen fähige und kreative Köpfe in den FuE-Teams, die die Wissensgenerierung im Unternehmen vorantreiben und so Innovationen überhaupt erst ermöglichen. Dies zeigt auch die Entwicklung der FuE-Daten für 2017: Das FuE-Personal ist im Jahr 2017 auf 436.571 Vollzeitäquivalente gestiegen – eine Steigerungsrate im Vergleich zu 2016 von 5,7 Prozent. Dennoch steigt das FuE-Personal unterproportional zu den internen FuE-Aufwendungen, die eine Wachstumsrate von 9,5 Prozent im Vergleich zu 2016 aufweisen. Ein Signal für die knappe Ressource Fachkraft? Das FuE-Personal in Deutschland ist noch immer alles andere als divers: 81 Prozent des FuE-Personals sind Männer (wissenschaftliches FuE-Personal: 90 Prozent Männer), 94 Prozent kommen aus Deutschland, und 88 Prozent absolvierten ein Studium im MINT-Bereich (SV Wissenschaftsstatistik 2017).
Fragt man große Unternehmen zum Thema Fachkräftemangel bestätigen diese, dass gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig international rekrutiert werden. Schwieriger wird es beim technischen Personal: Unterstützende akademisch Ausgebildete, aber insbesondere auch nicht akademisch Ausgebildete sind schwerer zu finden; vor allem im IT-Bereich.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen sich aufgrund des Fachkräftemangels zukünftig für neue und bislang in ihren Unternehmen unterrepräsentierte Personengruppen öffnen. Dabei ist die Diversität der Belegschaft aus einer ökonomisch orientierten Perspektive eine Ressource, die Unternehmen für sich nutzen können (business case for diversity). Beispielsweise, indem sie versuchen, die Vielfalt ihrer Kunden in ihrer Personalstruktur nachzubilden, um dadurch ein besseres Verständnis für ihre Zielgruppen zu erlangen.
Auch bei der Zusammensetzung und Zusammenarbeit von FuE-Teams spielt Diversität eine Rolle und führt sowohl zu Chancen als auch zu Herausforderungen für Teams und Unternehmen. Die Schlüsselfrage hierbei ist, wie Diversität den Gruppenprozess bzw. die Leistung beeinflusst und welche Diversitätsaspekte wann und warum zum Tragen kommen (Hermann/Mensi-Klarbach 2015).
Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist Diversität immer auch ein normatives Thema (moral case for diversity). Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG §1) ist in Deutschland seit 2006 festgelegt, dass niemand aufgrund von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität benachteiligt werden darf. Daher sind diese Dimensionen auch diejenigen, denen hierzulande aus ethischen und Antidiskriminierungsgründen bislang die meiste Beachtung geschenkt wird.
Obwohl der Begriff der Diversität in aller Munde ist, gibt es unterschiedliche Ansätze, Diversität zu definieren. Im Unternehmenskontext bezieht sich Diversität auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten einer Belegschaft bezogen auf sogenannte Diversitätsdimensionen. Gemeint sind damit Merkmale von Personen, durch die sie sich von anderen unterscheiden und die im Unternehmen zu Benachteiligungen, aber auch zu Wettbewerbsvorteilen führen können (Rastetter/Sieben 2015; Krell/Sieben 2011).
Ein im organisationalen Kontext gängiges Diversitätsmodel, das beispielsweise auch von der deutschen Charta der Vielfalt aufgegriffen wird, unterscheidet interne, externe und organisationale Diversitäts-dimensionen (Gardenswartz et al. 2010 und 2008). Interne Dimensionen sind Merkmale, die eine Person nicht oder kaum willentlich selbst verändern kann, wie Geschlecht, Alter, Behinderung, Rasse, ethnischer Hintergrund und sexuelle Orientierung. Äußere Dimensionen sind Merkmale, die sich im Laufe eines Lebens durch die Entscheidungen einer Person verändern können, wie beispielsweise Religionszugehörigkeit, Familienstatus, Bildungshintergrund und Arbeitserfahrung. Organisationale Dimensionen beziehen sich auf die Merkmale der Person innerhalb der Organisation, wie beispielsweise die Abteilungszugehörigkeit, der Management-Status oder das Dienstalter.
Bisherige Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Diversität und Innovativität sind nicht eindeutig. Einerseits fördert das Zusammenspiel unterschiedlicher Kenntnisse, Qualifikationen und Erfahrungen die Kreativität der Teammitglieder. Die Heterogenität einer Gruppe und die damit verbundenen unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Informationen der Einzelnen können dazu beitragen, unterschiedliche Perspektiven und Ideen einzubringen und so neue Problemlösungen zu finden (Parrotta et al. 2014; EFI 2014).
Diversität kann jedoch auch Probleme, Missverständnisse und das Konfliktpotenzial in Teams erhöhen und die Zusammenarbeit aufwändiger gestalten (Franken 2015). In gemischten Teams kann das Vertrauen aufgrund von realen und wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Teammitgliedern geringer sein. Vielfalt kann damit zu Friktionskosten führen, die die positiven Effekte egalisieren oder sogar überlagern (Alesina/Ferrara 2005; Basset-Jones 2005).
Unterschiedliche Diversitätsaspekte können sich sowohl positiv als auch negativ auf die Gruppenleistung auswirken, abhängig vom Kontext, der Organisation, der jeweiligen Arbeitsgruppe in Verbindung mit der Aufgabe, dem Ziel und Teamdesign sowie Machtaspekten innerhalb der Gruppe (Hermann 2012; Hermann/Mensi-Klarbach 2015). Ein dauerhaftes Team arbeitet und kommuniziert anders als ein projektbezogen-temporär zusammengesetztes Team. Ebenso agiert ein rein unternehmensinternes Team anders als ein Team, das sich aus unternehmensinternen und -externen Personen zusammensetzt. Für die Leistung eines Teams spielen auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle, die im Vorfeld oft kaum vorhergesehen werden können. Einige Studien unterstützen die positive Wirkung von Diversität, im Hinblick auf Ethnie und Geschlecht, auf Innovativität in explizit wissensintensiven und in international ausgerichteten Sektoren; in traditionellen, geschlossenen Industrien wird Innovativität durch Diversität allerdings verringert (Ozgen et al. 2013; Garnero et al. 2014).
Betrachtet man die Korrelationen zwischen den klassischen Diversitätsmaßen Alter, Nationalität, Geschlecht und Studienrichtung und dem Innovationsgrad, gemessen am Anteil neu eingeführter Produkte am Umsatz, so lässt sich in den Forschungsdaten der FuE-Statistik für Deutschland kein statistisch signifikanter Zusammenhang feststellen.
Warum kommen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen, inwieweit sich Diversität in Teams positiv auf Innovationsfähigkeit auswirkt, und warum scheint es nicht automatisch so zu sein, dass ein Mehr an Diversität, Teams und Organisationen innovativer macht?
Neue Diversitätsmaße
Die Widersprüchlichkeit der Ergebnisse unterstützt den Denkansatz, dass die in der Literatur üblicherweise verwendeten Diversitätsmaße im Kontext von Innovativität und Teamperformance zu hinterfragen sind und zusätzlich weitere Charakteristika berücksichtigt werden sollten. Demographische Diversitätsdimensionen geben wenig Aufschluss darüber, wie sich ein Individuum im Arbeitskontext und in Innovationsprozesse einbringt. Weitere Persönlichkeitsmerkmale wie soziale Prägung, emotionale Intelligenz und Arbeitsstil sollten zukünftig stärker quantifiziert und erhoben werden, um gehaltvollere Aussagen über ein Team und dessen Interaktionen treffen zu können. Damit gelänge auch eine aussagekräftige Wirkungsmessung von Diversität auf Innovativität.
Rahmenbedingung Unternehmenskultur
Eine weitere Erklärung liegt in den unternehmenskulturellen Rahmenbedingungen. Unternehmenskultur prägt eine Organisation auf allen Ebenen: Sie lässt sich als ein System gemeinsam geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der sie vermittelnden Normen, Werte und Symbole innerhalb einer Organisation verstehen. Diese gemeinsamen Werte, Normen und Einstellungen prägen die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten aller Organisationsmitglieder (Schein 1985). Die Unternehmenskultur eines jeden Unternehmens ist spezifisch und legt fest, was als richtig und falsch, was als "normal" angesehen wird.
Wenn nun Veränderungen im Unternehmen angestoßen werden, diese aber den geteilten Werten und Grundannahmen widersprechen, können Veränderungsprozesse länger dauern oder gar scheitern. Das gilt auch für eine Steigerung der Diversität. Wenn Unternehmen ihre Teams diverser aufstellen wollen und Menschen unterschiedlicher Ausbildungshintergründe, Fachdisziplinen oder Altersgruppen zusammenarbeiten lassen, kann das nur von Erfolg gekrönt sein, wenn die Grundannahmen und Denkmuster im Unternehmen Diversität positiv konnotieren. Die Unternehmenskultur ist somit der ausschlaggebende Faktor, wenn Diversität einen positiven Effekt auf die Innovationsfähigkeit zeigen soll (Østergaard et al. 2011). Wenn zum Beispiel Stereotype über marginalisierte Gruppen auch in der Belegschaft vorherrschen, wird der positive Effekt von Diversität gehemmt. Vor allem in kleineren Gruppen kann sich der gesellschaftliche Status einer marginalisierten Gruppe reproduzieren (Joshi/Roh 2009).
In einer Untersuchung von 2012 fanden Kaiser et al. bezüglich der Gender-Diversität in Führungspositionen heraus, dass Unternehmen, die aktiv mehr Frauen in Führungspositionen entwickeln wollten und auch entsprechende Maßnahmen implementierten, es kaum schafften, den Frauenanteil in Führungspositionen (besonders im Topmanagement) zu steigern. Die Gründe fanden sich auch hier in unternehmenskulturellen Hürden: Unterschiedlichkeit galt als Irritationsfaktor und nicht als Ressource, Erfolgsfaktoren für Karrieren waren gender-biased oder es herrschte ein enges homogenes Führungsbild, dem Frauen kaum entsprachen (Kaiser et al. 2012).
In Unternehmen mit diversen Führungsteams wiederum zeigen Studien, dass die Offenheit für Beiträge von Mitarbeitenden der unteren Führungsebene und ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeiter frei äußern können, entscheidend für die Förderung von Innovationen sind (Lorenzo et al. 2017).
Neueste Studien untermauern die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung von Diversität auf verschiedenen Führungsebenen. So kommen Schubert und Tavassoli (2019, in press) bei ihrer Untersuchung schwedischer Unternehmen zu dem Schluss, dass Diversität in Top-Management-Teams beeinflusst, inwieweit sich Unternehmen überhaupt innovativ betätigen, während die Diversität in Middle-Management-Teams das tatsächliche Ergebnis der Innovationsprozesse mitbestimmt.
Das FuE-Personal in Deutschland ist (noch) wenig divers und rekrutiert sich überwiegend aus männlichen, deutschen MINT-Absolventen. Diversität wäre ein Zugewinn vor dem Hintergrund des aktuellen und vor allem zukünftigen Fachkräftebedarfs, sowohl aus innovationsfördernder Perspektive als auch aus ethischen Gründen. Die Forschungsfrage, ob diverse FuE-Teams wirklich effektiver innovieren, kann erst dann hinreichend beantwortet werden, wenn differenziertere Diversitätskriterien erhoben werden und die bestehenden (unternehmenskulturellen) Rahmenbedingungen erfasst und innovationsfördernd weiterentwickelt werden.
Alesina, A. & Ferrara, E. L. (2005). Ethnic diversity and economic performance. Journal of economic literature, 43(3), 762-800.
Bassett‐Jones, N. (2005). The paradox of diversity management, creativity and innovation. Creativity and innovation management, 14(2), 169-175.
EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (Hg.) (2014). Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014, Berlin: EFI.
Franken, S. (2015). Personal: Diversity Management. Wiesbaden: Springer Gabler.
Gardenswartz, L., Cherbosque, J. & Rowe, A. (2010). Emotional intelligence for managing results in a diverse world: The hard truth about soft skills in the workplace. Hachette UK.
Gardenswartz, L., Cherbosque, J. & Rowe, A. (2010). Emotional Intelligence and Diversity. Journal of Psychological Issues in Organizational Culture, 1(1), 74-84.
Garnero, A., Kampelmann, S. & Rycx, F. (2014). The heterogeneous effects of workforce diversity on productivity, wages, and profits. Industrial Relations: A Journal of Economy and Society, 53(3), 430-477.
Hermann, A. (2012). Diversitätsmanagement in Teams. In: Bendl, R. et al. (Hg.): Diversität und Diversitätsmanagement. Facultas: Wien, 265-298.
Hermann, A. & Mensi-Klarbach, H. (2015). Diversität in Teams und in Topmanagement Teams: Zur Relevanz dynamischer Gruppenkonzepte für Forschung und Praxis. In Diversität, Diversifizierung und (Ent) Solidarisierung (189-204). Springer VS, Wiesbaden.
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Kaiser S., Hochfeld K., Gertje, E. & Schraudner M. (2012). Unternehmenskulturen verändern – Karrierebrüche vermeiden. Stuttgart: Fraunhofer Verlag.
OECD (2015). Frascati Manual 2015: Guidelines for Collecting and Reporting Data on Research and Experimental Development, Paris. Online-Publikation
Østergaard, C. R., Timmermans, B. & Kristinsson, K. (2011). Does a different view create something new? The effect of employee diversity on innovation. Research Policy, 40(3), 500-509.
Ozgen, C., Nijkamp, P. & Poot, J. (2013). Measuring cultural diversity and its impact on innovation: longitudinal evidence from Dutch firms. IZA Discussion Paper 7129.
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Rastetter, D. & Sieben, B. (2015). Beiträge zu Diversity Management in BWL-Zeitschriften – Themen und Perspektiven. In Diversität, Diversifizierung und (Ent) Solidarisierung (pp. 127-147). Springer VS, Wiesbaden.
Schein, E. (1985). Organizational Culture and Leadership. San Francisco: Jossey-Bass Publishers.
Schubert, T. & Tavassoli, S. (2019). Product Innovation and Educational Diversity in Top and Middle Management Teams. Academy of Management Journal. Online: 22 Feb 2019. Online-Publikation
SV Wissenschaftsstatistik (2017). a:rendi: Analysen, Essen. Online-Publikation
Verena Eckl, Geschäftsführerin, Wissenschaftsstatistik im Stifterverband, und Leiterin der Erhebung zu Forschung und Entwicklung im Wirtschaftssektor
Kerstin Ettl, Juniorprofessorin für Entrepreneurial Diversity & SME Management, Universität Siegen
Katharina Hochfeld, stellv. Leiterin, Center Responsible Research and Innovation, Fraunhofer IAO
Thu-Van Nguyen, Leiterin, Forschungsdatenzentrum Wissenschaftsstatistik im Stifterverband