Jan Lutz – der Citizen-Science-Visionär

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Foto: iStock/graphorama
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Kommunikationsdesigner Jan Lutz lernte schon als Kind, wie Dinge nicht gut funktionieren. Damals lebte er mit seinen Eltern in einer Kommune auf einem Bauernhof im Schwarzwald. Ackerbau, Viehzucht und freie Liebe waren für die Erwachsenen in den späten 70ern dann doch ein eher schwieriges Experiment. Jan Lutz beobachtete das Leid der Erwachsenen und entwickelte sich zu einem hervorragenden Analysten. Unstimmigkeiten erkennt er sofort. Dann fragt er sich: „Wie könnte es besser laufen?“ 

Mittlerweile ist der 45-Jährige Gründer, sozialer Innovator, Change-Agent und einer der wichtigsten deutschen Pioniere für Citizen Science. Mit Hingabe denkt und transformiert Jan Lutz Bürgerengagement ins digitale und vernetzte Zeitalter. In diese Aufgabe legt er seine ganze Schlagkraft, auch unbezahlt. 

„Beim ehrenamtlichen Citizen-Science-Projekt luftdaten.info habe ich ein Jahr lang geblufft, dass wir Dinge können, die wir noch gar nicht konnten. Das habe ich mir bei Elon Musk abgeschaut.“

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Jan A. Lutz (Foto: privat)
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Jan Lutz
Gründer und Citizen Science-Pionier

Es geht längst nicht mehr bloß ums Zählen von Wildvögeln im Vorgarten. Civic Tech, Open Data und Open Government katapultieren die Bürgerwissenschaften in neue Dimensionen. Wenn es richtig gut läuft, könnten sie sogar tickende gesellschaftliche Zeitbomben entschärfen: Feinstaub, Mikroplastik, Klimawandel. Davon ist Jan Lutz, der bereits mit dem Projekt „luftdaten.info“ bewiesen hat, dass man nicht groß genug denken kann, überzeugt. Der Stuttgarter lüftet ein Geheimnis, warum gerade in Citizen Science eine derartige Gestaltungs- und auch Tatkraft steckt: „Sehr viele Menschen wollen Teil der Lösung sein, sie wissen nur nicht wie.“ 

Jan Lutz erzählt es ihnen. Mit Menschen und Kommunikation kennt er sich bestens aus. Er studierte Kommunikationsdesign an der Merz Akademie Stuttgart, setzte anschließend noch einen Master of Arts in European Media an der University of Portsmouth drauf. Vor dem Studium arbeitete er über zwei Jahre lang in einer Werbeagentur für Automobilkunden, was ihn aber schnell langweilte. Seine Leidenschaft gilt ökosozialen Themen. Vor allem die nachhaltige Mobilitätskultur hat es ihm angetan.

Ökothemen an die Frau und den Mann zu bringen – darin ist Jan Lutz ein wahrer Fuchs. Die üblichen Fettnäpfchen für Bürgerinitiativen kennt er nur zu gut. Er macht sich viele Gedanken über ein erfolgversprechendes Framing. Manchmal blufft er sogar, wenn es der guten Sache dient. Das hat er sich bei Elon Musk abgeschaut. Auch deshalb ging luftdaten.info durch die Decke – eines der eindrucksvollsten Civic-Tech-Projekte Deutschlands. Betreut wird es vom OK Lab Stuttgart, das Jan Lutz 2014 gründete. Es ist Teil des Programms „Code for Germany“ der Open Knowledge Foundation Germany. Deutschlandweit gibt es rund zwei Dutzend solcher OK Labs, die für mehr Open Data, Citizen Science und transparentere Verwaltungen und Behörden sorgen sollen. 

Jan Lutz wählte für das OK Lab Stuttgart mit luftdaten.info ein schmutziges, lange ungelöstes Problem, das hervorragend zur Stadt passt: Feinstaub. Hierfür fing er sich dann auch das ein oder andere Schimpfwort ein, wie Nestbeschmutzer oder Querulant. Stuttgart ist stolz darauf, Autostadt und Heimat des weltweit ältesten Automobilherstellers Daimler zu sein. Das war und ist dem sozialen Innovator Lutz zu wenig. Er findet, Stuttgart müsse genau deshalb so selbstbewusst „wie keine andere Stadt auf der Welt“ mit nachhaltiger Mobilität vorangehen. Lutz beobachtet da aber nach wie vor eher schwäbische Bräsigkeit und kritisiert: „Gibt es denn keine besseren Lösungen, als täglich 100.000 Autos durchs Neckartal zu jagen?“

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Illustration: Sven Sedivy
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Durchfechter-Podcast

Beim Durchfechter-Podcast kommen ungewöhnliche Menschen zu Wort, die Bedeutendes gewagt haben: kühne Forscher, innovative Lehrer oder Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Alle Folgen in der Übersicht finden Sie auf der Podcast-Homepage. Oder aber Sie abonnieren den Podcast direkt auf Ihrem Smartphone oder Tablet in der Podcast-App Ihrer Wahl. Durchfechter ist in allen wichtigen Podcast-Verzeichnissen gelistet, unter anderen bei Apple Podcasts. So verpassen Sie keine Folge des Durchfechter. 

Mehr als 12.000 Messstationen

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Foto: Pixabay
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Viel Autoverkehr bringt viel Feinstaub – das führt das Citizen-Science-Projekt luftdaten.info jetzt als Datenvisualisierung vor Augen. Mehr als 12.000 Bürger sind bereits aktiv dabei. Sie messen täglich mit selbst gebauten kleinen Messstationen an ihrer Hauswand oder auf dem Balkon den Feinstaub in der Luft, vor allem in Deutschland und Europa, aber auch weltweit. Ihre Daten fließen auf der Webseite von luftdaten.info in einer Feinstaub-Weltkarte zusammen, die sich alle paar Minuten aktualisiert. Eine Art Ampelsystem gibt an, ob die Luft in einer Region oder Stadt gerade gut oder schlecht ist.

Der Anfang ist gemacht. Die Erfahrungen, wie man ein Civic-Tech-Projekt erfolgreich umsetzt, wachsen. Auch der stetig zunehmende Feinstaub-Datenpool, der mit anderen Daten verschnitten werden soll, wie Daten über Lärm, Verkehrsströme oder Wetterlagen, wird immer interessanter. Damit ließe sich einiges anfangen, ist Jan Lutz überzeugt, gerade wenn man an die Möglichkeiten des Machine Learnings denke. 

Wissenschaft, Stadtplanung, Start-ups – alle können jetzt von den offenen Bürgerdaten profitieren. Wie groß dieser Schritt ist? In Stuttgart gab es vor luftdaten.info gerade einmal fünf öffentliche Feinstaub-Messstationen, deren Daten mit einer Zeitverzögerung von vier Wochen verfügbar waren. Völlig unbrauchbar, kommentiert Jan Lutz, um gegen das schmutzige Problem Feinstaub die nächste Stufe zu zünden.

Damit meint der Stuttgarter vor allem ein gutes Storytelling und leicht verständliche Datenvisualisierungen. Ihm geht es darum, dass eine perfekte Simulation entsteht: „Die uns verstehen lässt, was wir da eigentlich anrichten.“ Denn genau das motiviere Menschen, Dinge zu ändern und persönlich gegen Missstände vorzugehen. Er möchte es ihnen leicht machen, Teil der Lösung zu sein. 

Die reine Dagegen-Kultur führe nicht weiter, so Jan Lutz. Straßen blockieren, auf Demonstrationen mitlaufen und dann womöglich „eins drauf geknüppelt bekommen“? Hier wünscht sich der Stuttgarter smartere Lösungen für die Zukunft. „Meine Eltern haben schon auf Demos rumgesessen. Klar ist die Straße heute immer noch wichtig. Wir können sie jetzt aber auch als Narrativ in Datenvisualisierung reinmogeln.“

Noch ist es für Bürger schwierig, an Datenbestände heranzukommen. Gerade die Kombination Behörde und offene Daten sehen Mitarbeiter in den Amtsstuben der Länder, Städte und Kommunen vielerorts kritisch. Man möchte Daten nur ungern herausgeben, weil man befürchtet, dass die Bürger sie falsch interpretieren könnten und dann womöglich irgendein Fass aufmachen. 

Illustration: Atelier Hauer+Dörfler
Illustration: Atelier Hauer+Dörfler
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Wirkung hoch 100

Projekte wie das von Jan Lutz bringen die Gesellschaft weiter. Sie versuchen Probleme zu lösen, indem sie andere Bürger begeistern und zum Mitmachen animieren. Solche innovativen Ideen fördert der Stifterverband mit seinem Jubiläumsprogramm Wirkung hoch 100. Damit will er Pioniere, Vordenker und Macher miteinander vernetzen und ihren Ideen und Projekten zum Durchbruch verhelfen. 

Mehr zu diesem Programm

„Wir sollten uns langsam mal bewusst werden, dass wir die nächste Stufe der Menschheit zünden könnten.“

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Jan A. Lutz (Foto: privat)
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Jan A. Lutz

Hier leistet Jan Lutz immer wieder Überzeugungsarbeit. Wenig hilfreich finde er diesbezüglich übrigens den „blöden Spruch“, Daten seien das Erdöl des 21. Jahrhunderts. Denn der motiviere manche Verwaltungen auch noch dazu, Daten erst einmal festzuhalten – „weil man ja nicht wisse, ob noch lukrative Angebote kommen“. 

Ganz so schnell wird Jan Lutz die Rolle des „unbequemen Bürgers“ wohl nicht abstreifen können. Er sieht es aber gelassen und blickt nach vorn. Vor allem das „riesige Potenzial der Städte“, lebenswerter zu werden, lässt den engagierten Pionier des Wandels weitermachen. Er glaubt fest an die innovative Kraft der Crowd, die aus seiner Sicht „sehr schnell sehr gute Lösungen“ für die Gesellschaft entwickeln kann. 

Die Wissenschaft sei dafür schon offen. Jetzt vertraut der Schwabe darauf, dass auch die Verwaltungen zunehmend den Wert von Citizen Science erkennen und mithelfen bei der neuen, spannenden Normalität: dass auch Bürger Wissen erschaffen.

 

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