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Innovationsland Deutschland: Worauf warten wir?

englische Zeitungsheadlines, die Aufschieben symbolisieren (Foto: istock.com/BrianAJackson)
Foto: istock.com/BrianAJackson
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Überspitzt: Es ist nicht in Ordnung, sich jedes Mal anhören zu müssen, dass es „Skandinavien“ besser kann. Nachhaltigkeit? Skandinavien. Bildung? Skandinavien. Demokratie? Skandinavien. Klimaschutz? Skandinavien. Digitalisierung? Skandinavien. Bürgerbeteiligung? Skandinavien.

Die Nordländer sind nicht weit von uns entfernt. Wir könnten kurz rüberschauen: Sie entwickeln sich ruhig weiter. Dort tobt kein Innovationssturm wie im Silicon Valley, sondern ein bedachtes Gehen mit der Zeit. Wir schauen zu – oder eigentlich auch nicht – und lassen uns Finnen und Schweden bei allem und von jedem unter die Nase reiben.

Die sind „vor uns“, aber wir fühlen uns immer noch wie Weltmeister, wie im Fußball. Wir ignorieren harte Ergebnisse und alle Rangzahlen, wir schwelgen in unserer Erinnerung an das Wirtschaftswunder Deutschland. Die einstige lange Liste unserer Führungspositionen wird kürzer. Fällt auch „Auto“ bald weg? Nur noch Maschinenbau? Maschineneinkäufer berichten, dass deutsche Vertriebsbeauftragte unisono vor „China-Minderqualitätsmurks“ warnen, dass es aber durchaus Superprodukte aus China gäbe.

Wer nicht mehr in der Führungsgruppe ist, muss sich nach den Führenden richten. Genau das aber wollen wir auch nicht. Wir wollen ein führendes deutsches Zoom, Word, GPS-System, Cloud-System, Weltraumprogramm oder Batteriewerk. Wie bekommen wir das?

Der Staat soll Forschungsprogramme aufsetzen, damit die Besitzstandswahrungsunternehmen keine Weiterentwicklungskosten tragen müssen. Diese unsinnige Vorstellung stützt der Staat, anscheinend ohne jede Ahnung von Unternehmertum und vom Erbringen echter Resultate. Er gibt verschwenderisch Forschungsgelder aus, die man mit großer Expertise und Geduld sogar abrufen kann. 

Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
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Direct Dueck

Gunter Dueck besitzt die Gabe, einen in innere Jubelstürme ausbrechen zu lassen. Das gelingt ihm, wenn man ihn als Vortragenden auf der Bühne erlebt, aber auch mit seinen Texten und Büchern, mit seinen Interviews. Er schafft es auf ganz außergewöhnliche Weise die Dinge auf den Punkt zu bringen: Oft schleicht er sich erst an ein Thema heran, um dann umso hartnäckiger ein Problem herauszuarbeiten. Seine Thesen trägt er zumeist ruhig und gelassen vor, und doch sind sie oft – das merkt man manchmal erst später – messerscharfe Fallbeile. Dann erheben sich – siehe oben – die inneren Jubelstürme. Und oft jubeln ihm die Menschen nicht nur innerlich zu: Auf großen Tagungen wie der re:publica ist er ein unumstrittener Star. Umso schöner, dass er das MERTON-Magazin mit einer regelmäßigen Kolumne bereichert. Er nennt sie „Direct Dueck“, was auf ein paar schöne scharfe Fallbeile in Textform hoffen lässt. 

Alle MERTON-Kolumnen von Gunter Dueck

„Vorgeschaltete Forschung in Deutschland wirkt faktisch wie Prokrastination, wie das ständige Aufschieben der Taten auf „später“.“

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck

Forschung im deutschen Sinne ist sehr gründlich, Deutsche setzen am liebsten auf Grundlagenforschung. Das Anfertigen einer simplen Dissertation dauert heute vier Jahre. In etwa acht Jahren rauschen Firmen wie SpaceX, Amazon Web Services („Cloud“) oder Tesla an uns vorbei. Vorgeschaltete Forschung in Deutschland wirkt faktisch wie Prokrastination, wie das ständige Aufschieben der Taten auf „später“. Dieses Prokrastinieren der eigenen Weiterentwicklung erzürnt uns gleichzeitig: Ohne die behäbige Staats-Ariane (gegründet 1980) sollen wir von der Privat-Elon-Musk-Firma SpaceX (gegründet 2002) abhängig sein? Wir sollen in der Schule PowerPoint nutzen – wieso? Wir sollen uns US-Erklärvideos im Netz anschauen, bloß weil wir noch erforschen, wie ein deutscher Schulrat es idealerweise täte? In Brandenburg verkaufen sie nach einem Jahr Bauzeit Batterien, die in Münster doch erst noch erforscht werden müssen? Tendenz: Was wir demnächst zu erforschen beabsichtigen, kann man oft schon an der nächsten Ecke billig bekommen.

All das wird beschönigt und verharmlost, das Misstrauen gegen die folgerichtige Abhängigkeit von Außer-EU-Produkten wächst und wächst. „Hilfe, wir sind nicht mehr souverän!“ Ab und zu erleuchtet ein Feuerwerk der Art „Industrie 4.0“ unser Land, gibt zu großen Hoffnungen und Neujahrsversprechen Anlass und endet in Absichtserklärungen: Im Jahre 2050 wird alles gut sein, wenn wir ab etwa 2040 mit dem Erforschen beginnen; vorher geht es nicht, weil erst Daten gesammelt werden müssen, aber extrem sensibel, sodass man gesichert nichts mit ihnen anfangen kann. Wir sagen bis 2030: „Wir haben unsere Hausaufgaben nicht diszipliniert genug gemacht; es ist absolut nicht unser Anspruch, einmal nicht mit Bestleistungen zu glänzen, aber wir sehen klar, dass wir vor Herausforderungen stehen, weil nachhaltig gute Arbeit so komplex ist, wenn man sie nicht gewöhnt ist.“

„Deutschland benimmt sich wie ein 52-jähriger Maschinenbauingenieur, der seine Felle wegschwimmen sieht, weil nun IT in den Maschinen das Wichtigste wird. “

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck

Im Ernst: Die Bürgerinnen und Bürger stellen sich zum Beispiel unter GAIA-X ein Cloud-Infrastruktursystem vor, das dann später von uns allen benutzt wird. Dann lesen wir in der Wikipedia, dass Amazon/Microsoft und sogar Palantir (gilt als „datenböse“) dabei mitmachen – und als Krönung: „Durch die Umsetzung von GAIA-X soll kein Konkurrenzprodukt zu bereits existierenden Angeboten [...] geschaffen werden.“ Heißt ja auch: „Mit Hilfe amerikanischer Unternehmen erforschen wir ein souverän europäisches Ideal, was aber am Markt bei Weitem zu teuer wäre und keine Chance gegen die jetzt schon erfolgreichen Firmen hätte.“

Was tun? In verzweifeltem Zynismus wie hier schwelgen? Oder ein weiteres Mal so: „Wir müssen ein neues Milliardenprogramm auflegen, um unsere Nerven zu beruhigen. Wir müssen zeigen, dass wir dabei sind, unabhängig in die Zukunft zu gelangen.“ Was soll das, so ein paar Milliarden? Amazon, Microsoft oder Google geben jedes Jahr (im Klartext: jeweils einzeln jedes Jahr) um die 20 Milliarden für Forschung und Entwicklung aus, während die EU-Staaten mal hier, mal da ein paar Milliarden für ein auf „mehrere Jahre“ ausgelegtes Programm spendieren, bei dem die Hälfte der Arbeit in koordinierenden Sitzungen, in Statuskomitees und mit Antragslyrik verbracht wird.

Was stimmt da nicht? Deutschland benimmt sich wie ein 52-jähriger Maschinenbauingenieur, der seine Felle wegschwimmen sieht, weil nun IT in den Maschinen das Wichtigste wird. „Da müsste ich bestimmt zwei Jahre umlernen, ich versuche es lieber mit Vorruhestand.“ Deutschland fühlt sich älter geworden, es will nichts, es ist nicht energiegeladen, schon gar nicht agil. Es geht kein Ruck durch Deutschland. 

„Man muss nicht umdenken, man muss sich umtun.“

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck

Bitte: Lesen Sie die berühmte Ruck-Rede von Roman Herzog aus dem Jahre 1997, dann erschauern Sie. Es gibt nicht nur Deutschland und Entwicklungsländer. Es gibt auch noch Weiterentwicklungsländer. Ein solches sollten wir sein wollen. Nur wollen und nur umsetzen – dann geht es schon. Aber das ist leicht gesagt: Führen wollen statt „wieder Anschluss gewinnen“. Die ahnungslosen Medien predigen denn auch Umdenken. Wenn es so einfach wäre. Man muss nicht umdenken, man muss sich umtun.

 

Logo des Forschungsgipfel 2021 (Grafik: Stifterverband)
Logo des Forschungsgipfel 2021 (Grafik: Stifterverband)
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DAS INNOVATIONSSYSTEM DER NÄCHSTEN GENERATION

Beim diesjährigen Forschungsgipfel geht es um die Frage: Was braucht es für ein zukunftsfähiges Innovationssystem in Deutschland? Wie sollte das Innovationssystem der nächsten Generation aussehen? Der Forschungsgipfel 2021 geht mit Blick auf die Bundestagswahl diesen Fragen nach. 

MEHR ZUM FORSCHUNGSGIPFEL 2021

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