Innovationssystem

Raus aus dem Silo!

Timotheus Höttges
Timotheus Höttges (Foto: David Ausserhofer)
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Ich möchte direkt in medias res gehen und mit zwei Grundannahmen beginnen, die verkürzt und zugespitzt meine Sicht auf die Digitalisierung und ihre Auswirkungen wiedergeben: 

  1. Wer programmiert, der produziert. Darum kann jeder in der Digitalisierung sofort zum Produzenten werden. Die Produktionsmittel sind verfügbar, etwa die Rechen-Power und die Speicherkapazität in der Cloud. Mit dem 3D-Druck gilt das mehr und mehr auch für die Produktion physischer Güter. Für junge Unternehmen kommt es darum vor allem darauf an, diese Produktionsmittel für die eigenen Ideen sinnvoll, schnell und schnell wachsend zu nutzen. Sie müssen vom Denker zum Macher werden. 
  2. Für etablierte Unternehmen gilt, dass wir in Kooperationsmodellen verbunden sind mit den großen Plattformen des Internets, um Informationen und Daten zu teilen. Von der Produktentwicklung bis zum Targeting bei der Werbung. Das ist Segen und kann Fluch zugleich sein, weil immer das Risiko besteht, dass Wertschöpfung in Richtung der Plattformen abwandert. Und je größer diese Plattform, desto größer auch die Gefahr. 

Das voran gestellt, möchte ich einige operative Beobachtungen teilen. Und diese Beobachtungen sollen als Anregungen dafür dienen, wie wir beides schaffen können: von Denkern zu Machern zu werden. Und Kooperationsmodelle zu finden, die neue Wertschöpfung hier in Europa schaffen.

  • Software siegt über Hardware: Darum müssen wir unsere Ingenieurs- und Handwerkskunst um Programmierfähigkeiten erweitern. Das gehört auf die Lehrpläne. Java, Python und Ruby sind mindestens genauso wichtig wie Multiplizieren, Lesen oder Fremdsprachen. Wir haben gute Leute, aber wir müssen die Lücke bei der lokalen Software-Entwicklung schließen. 
  • Big Data bedeutet das Ende der Theorie: Die Welt ist zu einem großen Versuchslabor geworden, das wir in Echtzeit messen und auswerten können. Aber die Ressourcen für die Datenanalysen sind limitiert. Darum ist es wichtig, für Analysen und Künstliche Intelligenz Kooperationsmodelle über offene Plattformen zu finden. Wer etwas reingibt, darf auch etwas rausnehmen. Es geht darum, eigene Daten mit denen anderer zu kombinieren und darauf neue Wertschöpfung aufzubauen. 
  • Daten nicht zu nutzen, wäre fahrlässig. Darum müssen wir eine Offenheit beim Umgang mit Daten entwickeln. Das bedeutet ausdrücklich nicht, auf Datenschutz zu verzichten. 

 

„Daten nicht zu nutzen, wäre fahrlässig. Darum müssen wir eine Offenheit beim Umgang mit Daten entwickeln. Das bedeutet ausdrücklich nicht, auf Datenschutz zu verzichten. “

Timotheus Höttges
Timotheus Höttges (Foto: David Ausserhofer)
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Timotheus Höttges
Timotheus Höttges ist Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Telekom AG. Er war Keynote-Speaker auf dem Forschungsgipfel 2016.
  • Big Data siegt über die Theorie; der Tüftler siegt über den Theoretiker: Darum müssen wir in Unternehmen Freiräume schaffen zum Tüfteln. Das erfordert eine neue Form der Zusammenarbeit jenseits klassischer Arbeitsformen in strengen Hierarchien. Dafür müssen wir einen neuen Sozialvertrag mit den Sozialpartnern schließen. 
  • Innovation ist Re-Kombination; also die neue Anordnung bereits vorhandener Elemente. Nehmen Sie Uber. Autos, Fahrer, Smartphone. War alles da, aber nur Uber hat daraus ein völlig neues Mobilitätskonzept gemacht. Um die Rekombinations-Möglichkeiten zu erweitern, müssen wir die Silos in unseren Unternehmen aufbrechen. Das erfordert Rotation in den Funktionen und Segmenten. Und eine Organisationsform, die sich an Projekten orientiert. 
  • Die besten Mitarbeiter haben immer die anderen. Das war schon immer so. Aber durch die Digitalisierung können wir weltweit deren Wissen partnerschaftlich anzapfen. Darum müssen wir lernen, mit Open Source zu arbeiten. Damit erweitern wir unsere eigenen Kompetenzen durch die von Experten anderswo. 
  • Kooperation ist nicht Kartell: Die horizontalen Wertschöpfungsketten der Zukunft brauchen unternehmerischen Willen zur Zusammenarbeit. Aber auch Rahmenbedingungen. Dazu zählen Standards etwa bei der Industrie 4.0, die bereits genannten offenen Plattformen, gemeinsame Test-Beds. Und eine Regulierung, die Kooperation zulässt, aber bei Missbrauch einschreitet. 
  • Innovation denkt nicht in Technik, sondern in Lösung. Und zwar Lösung für den Kunden. Im Silicon Valley nennt man das „design thinking“, aber im Grunde geht es um eine Service-Mentalität. Der zukünftige Kundennutzen wird radikal in den Mittelpunkt der Produkt- und Prozessentwicklung gestellt. Die Vorgabe: Beeinflussen Sie das Leben von einer Milliarde Menschen positiv. 
  • Wer nicht skaliert, verliert: Eine Milliarde Menschen erreicht man nur über Skaleneffekte. Auch dafür braucht es einen einheitlichen Rechtsrahmen, also den Abbau unterschiedlicher und zum Teil widersprüchlicher Vorschriften in Europa. 
  • Innovation braucht Investition. Und Investition braucht Sicherheit. Eine stärkere steuerliche Absetzbarkeit von Forschung und Entwicklung wäre ein Schritt in diese Richtung. Ebenso die Ausweitung der Möglichkeiten für Verlustvorträge bei jungen Unternehmen. Wer schnell groß werden will, muss den Luxus haben dürfen, längere Zeit ohne Gewinne operieren zu können. 
  • Partnermodelle sind Renditemodelle. Unternehmen dürfen sich nicht auf die eigene Entwicklung verlassen, sondern müssen in junge Unternehmen und deren Ideen investieren. Sind die erfolgreich, ist der Nutzen für das eigene Unternehmen doppelt groß. Neben dem Wertzuwachs des ingesetzten Kapitals lässt sich die neue Technik sehr viel leichter und günstiger in die eigene Wertschöpfungskette implementieren. Wichtig ist aber, dass wir nicht nur die Gründungsphasen finanzieren – hier ist Kapital durchaus vorhanden – , sondern vor allem auch die Wachstumsphasen. 

 

Timotheus Höttges
Timotheus Höttges (Foto: David Ausserhofer)
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Sehen Sie die Rede im Video

Timotheus Höttges während seiner Keynote auf dem Forschungsgipfel 2016
  • Innovation braucht Freiheit: Die klassischen Industrien – Telkos, Banken, Automobilhersteller – sind über die Jahre zu regulierten Industrien geworden, um Kunden-Risiken zu minimieren und über Vorschriften den Wettbewerb zu organisieren. Die Internetkonzerne sind aber in weitgehend unregulierten Märkten entstanden und haben dadurch eine viel stärkere Dynamik mit entsprechenden Wachstumsraten. Anstatt den Versuch zu unternehmen, im Vorhinein alle Eventualitäten regulatorisch zu adressieren, sollten wir größtmögliche Freiräume schaffen und womöglich erst bei offensichtlichen Fehlentwicklungen gegensteuern. (Das alles nicht zu Lasten der von mir erwähnten Innovationssicherheit.) 

​Es ist gut, dass wir heute interdisziplinär diskutieren. Aber am Ende wird nicht zählen, was wir gesagt und gedacht haben, sondern, was wir gewagt und gemacht haben. Klar ist doch: Die Digitalisierung ist allumfassend. Wir brauchen erst gar nicht den Versuch zu unternehmen, alles auf einmal zu verstehen – und alles auf einmal in Angriff zu nehmen. Da können wir lange warten. Stattdessen sollten wir Anfänge suchen. Und dann heute starten. 

Eindrücke vom Forschungsgipfel 2016

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