Nominiert für den Deutschen Zukunftspreis 2016
Die drei Nominierten haben einen innovativen Beton-Verbundwerkstoff von der Grundlagenforschung bis zum größten Entwicklungs- und Anwendungsnetzwerk der deutschen Baubranche geführt, mit dem sich das derzeit wichtigste Baumaterial Stahlbeton zunehmend ersetzen lässt. Das verlängert die Lebensdauer von Betonbauwerken, senkt dadurch die Instandhaltungskosten und sorgt zudem für einen geringeren Ressourcenverbrauch und weniger CO2-Emissionen.
Häuser, Brücken und Türme instand zu halten, ist aufwendig und teuer. Der Grund liegt im Stahlbeton, der in vielen Bauwerken steckt: Seine stählerne Bewehrung kann korrodieren und macht den Baustoff dadurch mürbe. Lässt sie sich durch eine robustere Alternative ersetzen?
Manfred Curbach, Chokri Cherif und Peter Offermann waren maßgeblich an der Entwicklung einer solchen Alternative beteiligt. Sie schufen einen neuartigen Beton-Verbundwerkstoff, der deutlich widerstandsfähiger ist als Stahlbeton und zudem neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Statt der korrosionsanfälligen Stahlbewehrung enthält er Carbon: ein Gelege aus feinen Kohlenstoff-Fasern. Carbonbeton ist langlebig, umweltschonend und vielfältig einsetzbar. Die drei Nominierten forschen an der Technischen Universität (TU) Dresden: Manfred Curbach leitet das Institut für Massivbau, Peter Offermann ist Professor im Ruhestand am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik, das von Chokri Cherif geleitet wird.
Seit den 1950er-Jahren ist Stahlbeton das am häufigsten verwendete Baumaterial, das in Wohn- und Geschäftshäusern, Fabriken, Brücken, Tunneln, Türmen und Masten zum Einsatz kommt. Der Werkstoff, bei dem gerippte Stahlstäbe in einen Betonmantel eingezogen sind, zeichnet sich durch eine hohe Stabilität aus, da es die Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Stahl kombiniert. Doch er hat auch Nachteile: Die Herstellung verschlingt viel Energie und trägt so zu einem hohen Anteil der Bauindustrie an den klimaschädlichen CO2-Emissionen bei. Zudem werden Stahlbeton-Bauwerke zunehmend zum Sicherheitsrisiko: Da der Stahl von Korrosion bedroht ist, haben die Bauten eine begrenzte Lebensdauer von rund 40 bis 80 Jahren. Deshalb müssen unter anderem viele der rund 120.000 Brücken in Deutschland in den nächsten Jahren instandgesetzt werden. Das verursacht etliche Milliarden Euro an Kosten. Der Ersatz von Stahl- durch Carbonbeton kann teure Reparaturen künftig weitgehend vermeiden und zudem den Ressourcenverbrauch senken.
Das als Bewehrung des Betons verwendete Carbon ist noch fester als Stahl, zugleich aber viel leichter und beständiger, da das Material nicht korrodiert. Bauteile aus Carbonbeton können daher wesentlich schlanker ausfallen, was den Rohstoffbedarf verringert. Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sinken auf etwa die Hälfte. Die flexible Formbarkeit der Kohlenstoff-Fasern ermöglicht eine sehr filigrane Gestalt von Bauwerken, deren Lebensdauer deutlich länger ist als mit Stahlbeton.
Carbonbeton lässt sich zur Instandsetzung und Rettung baulich bedrohter Häuser, Brücken oder Masten verwenden. Das geschieht auch bereits seit 2006: Durch Aufbringen einer dünnen Schicht Carbonbeton konnte die Lebensdauer von Geschäftsgebäuden, Brücken und Fassadenelementen deutlich verlängert werden. Bei Neubauten zählen die geringere Größe und das geringere Gewicht von Betonbauteilen mit Carbon: So sind Fassadenplatten, die aus Stahlbeton acht Zentimeter dick wären, mit Carbonbeton nur noch zwei Zentimeter stark. Das reduziert die Herstellungs-, Transport- und Montagekosten. Da deutlich weniger Material benötigt wird, sind die Werkstoffkosten von Carbon bezogen auf die Leistung mit denen von Stahl vergleichbar. Module aus Carbonbeton können überdies mit Zusatzfunktionen wie Dämmen, Heizen oder Überwachen ausgestattet werden, wodurch von Anfang an eine "intelligente Vernetzung" in Gebäude oder Brücken gelangt.
Deutschland ist weltweit führend bei der Erforschung von Grundlagen und Anwendungen des revolutionären Baustoffs. Ein umfangreiches Forschungsprojekt, das 2014 gestartet ist, soll die führende Rolle festigen und ausbauen. Das Projekt "C3 – Carbon Concrete Composite", an dem sich rund 140 Institute und Unternehmen beteiligen, wird mit 45 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie 25 Millionen Euro Eigenmitteln finanziert. Konsortialführer ist die TU Dresden, Vorsitzender ist Manfred Curbach. Die Forscher ebnen Carbonbeton damit den Weg in den Markt und legen die Basis für einen breiten Einsatz in der Baubranche. Das Potenzial ist gewaltig: Weltweit werden etwa 160 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr zum Bewehren von Beton genutzt, in Deutschland rund 4 Millionen Tonnen. Ziel ist es, dort in den nächsten zehn Jahren rund 20 Prozent des Stahls durch Carbon zu ersetzen.
Das Projekt wurde von der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften eingereicht.