Sieger des Deutschen Zukunftspreises 2015
Menschen, die unter Lungenhochdruck leiden, müssen erhebliche Einschränkungen ihrer Lebensqualität in Kauf nehmen. Viele Patienten sterben innerhalb weniger Jahre. Was lässt sich dagegen tun? Die Forscher haben ein neuartiges Medikament entwickelt, das bei zwei Formen der schweren und fortschreitenden Krankheit wirkt.
Sie entdeckten einen Wirkmechanismus, der direkt an den molekularen Prozessen im Herz-Lungenkreislauf ansetzt – und künftig auch zur Behandlung einer Vielzahl weiterer Erkrankungen dienen könnte. Johannes-Peter Stasch ist Honorarprofessor für Arzneimittelforschung an der Universität Halle-Wittenberg und war leitender Wissenschaftler in der Herz-Kreislauf-Forschung der Bayer Pharma AG. Reiner Frey arbeitete dort ebenfalls als leitender Wissenschaftler im Bereich klinische Pharmakologie. Ardeschir Ghofrani leitet die Ambulanz für Pulmonale Hypertonie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg und ist Medizinischer Direktor der Kerckhoff Klinik in Bad Nauheim.
Der Einsatz von Nitroglycerin bei Herz-Kreislaufkrankheiten begann vor 130 Jahren: initial als Sprengstoff verwendet, wird es bei Angina pectoris eingesetzt. Im Körper setzt es Stickstoffmonoxid (NO) frei, das die Gefäße erweitert und den Blutdruck senkt, aber auch sehr schnell abgebaut wird.
NO wird auch vom Körper selbst gebildet. Patienten mit Lungenhochdruck – im Fachjargon: Pulmonale Hypertonie (PH) –bilden zu wenig NO und der Druck in den Lungenarterien steigt. Die Betroffenen leiden unter schwerer Atemnot, die viele alltägliche Dinge wie das Treppensteigen oder Gehen längerer Strecken erschwert. Dazu kommen Müdigkeit und Kreislaufprobleme, die zu Ohnmachtsanfällen führen können. Wird die Erkrankung nicht behandelt, sterben die Patienten zumeist nach wenigen Jahren an Herzversagen. Bislang gibt es nur für zwei Formen Ansätze, den Lungenhochdruck zu lindern. Eine Heilung ist bei einer nur operativ, bei der anderen Form bisher gar nicht möglich - auch eine medikamentöse Therapie gab es bei der ersten Form bisher nicht.
NO spielt mit einem Enzym zusammen, das seine gefäßerweiternde Wirkung an die Zellen vermittelt: die „lösliche Guanylatcyclase“ (sGC). Die Bayer-Forscher stießen im Jahr 1994 auf die Möglichkeit, sGC unabhängig von NO zu stimulieren. Gemeinsam mit Gießener Wissenschaftlern wiesen sie nach, dass sich Lungenhochdruck so aussichtsreich behandeln lässt. Im Jahr 2000 gelang es erstmals, Riociguat als dafür geeigneten Wirkstoff herzustellen. Durch seinen dualen Wirkmechanismus regt Riociguat NO-synergistisch und NO-unabhängig die sGC an, den Blutdruck in der Lunge zu senken.
Daraus entstand bei Bayer das Arzneimittel ADEMPAS®, das inzwischen in über 50 Ländern zugelassen ist. Es lindert die Symptome der Krankheit und verlangsamt ihren Verlauf. In den USA erhielt es im Oktober 2013 die Zulassung zur Behandlung von chronisch-thromboembolischer pulmonaler Hypertonie (CTEPH) – einer zuvor nicht medikamentös behandelbaren Form – wenn eine Operation nicht möglich oder erfolglos verlaufen ist. Auch bei bestimmten Formen pulmonal arterieller Hypertonie (PAH) ist das Mittel anerkannt. In der EU erhielt es die Zulassung für beide Indikationen im März 2014. Noch laufende Langzeitstudien haben seither belegt, dass es auch über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren hilft und sicher ist. Andere Wirkstoffe aus dieser Substanzklasse werden inzwischen bei weiteren Erkrankungen, zum Beispiel zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz, klinisch geprüft.
Neben dem hohen medizinischen Nutzen bietet sich auch ein großes wirtschaftliches Potenzial. Prognosen erwarten einen weltweiten Umsatz über 500 Millionen Euro in den nächsten Jahren. Die Entwicklung des neuen Arzneimittels gegen Lungenhochdruck steht beispielhaft für eine erfolgreiche pharmazeutische Innovation aus Deutschland: Das pharmakologische Prinzip wurde hier entdeckt, der Wirkstoff hier entwickelt und getestet, und das Medikament wird im Land hergestellt. Das ließ und lässt etliche neue Arbeitsplätze entstehen.
Das Projekt wurde von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V. vorgeschlagen.